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Lehrstuhl für Vor- und Frühgeschichtliche Archäologie

Pressespiegel - Meldung

Mit der Zeit immer brutaler

06.06.2009

Archäologie: Heidi Peter-Röcher erforscht, wann in der Menschheitsgeschichte der Krieg begann. Wie gewaltsam waren unsere Vorfahren? Skelettfunde geben Antwort. (aus: Mainpost 6.6.2009)

Pinselarbeit an einem Familiengrab aus der Steinzeit, gefunden in Eulau bei Naumburg in Sachsen-Anhalt. (Foto: dpa)

 

Grauenhafte Szenen müssen sich an jenem Tag vor über 7000 Jahren im Neckartal abgespielt haben. Ein beispielloser Akt blutiger Gewalt, bei dem eine ganze Steinzeitsippe erschlagen worden war. 1983 fand ein Landwirt in Talheim nahe Heilbronn beim Umgraben die Überreste des Massakers: 34 Leichen über und untereinander, achtlos in einer kleinen Grube verscharrt. Seitdem rätselt die Forschung, was passierte. Die meisten der Skelette zeigen schwere Schädelverletzungen, fast alle müssen tödlich gewesen sein. Spuren von Kampf und Verteidigung aber fehlen völlig. Die Männer, Frauen, Kinder müssen von ihren Angreifern im Schlaf erschlagen oder auf der Flucht rücklings niedergestreckt worden sein.

Das Massaker von Talheim gilt als das erste Zeugnis für Gewalt in bandkeramischer Zeit. Und auf den ersten Blick nährt es wunderbar gängige Vorstellungen von der Steinzeit als Tummelplatz der Keulenschwinger und Schädelspalter. Heidi Peter-Röcher, die neue Professorin am Lehrstuhl für Vor- und Frühgeschichtliche Archäologie der Uni Würzburg, schüttelt den Kopf. „Ein richtig schönes Massaker. Aber eben die absolute Ausnahme.“

Die Wissenschaftlerin gräbt in der Erde nach Knochen und Scherben, deutet die naturwissenschaftlichen Analysen von Chemikern und Metallexperten, macht Statistiken über Verletzungen und Frakturen bei jahrtausendealten Skeletten – und interessiert sich doch vor allem für den Mensch. Wie ist homo sapiens vor 7000, 4000 oder 1000 Jahren mit seinen Mitmenschen umgegangen? Wie hat sich die soziale Welt entwickelt? Wie sind in einer Gesellschaft Hierarchien entstanden? Welche Stellung hatte die Frau? Und vor allem: Wie aggressiv, wie gewaltsam ist er, der Mensch?

Die Archäologin versucht Antworten auf diese Fragen zu finden für die Zeiten, in der die Schrift noch nicht erfunden war und von denen nichts erhalten ist außer Überbleibsel im Boden. Ihren Studenten rät sie, den Blick zu schärfen, kritisch mit Materialien umzugehen. Nicht alles zu glauben. Auch in die Nachbardisziplinen zu schauen. „Man glaubt immer, was man ausgräbt, das ist was Handfestes, das hat man.“ Aber was man nicht kenne, das sehe man auch nicht. „Archäologen vergessen zuweilen, dass in den ausschnitthaften materiellen Überresten, die sie zur Verfügung haben, nur der geringste Teil umfangreicher Handlungen dokumentiert ist“, sagt Peter-Röcher. Bestattungsfunde sagen weniger etwas über den Toten aus als über die Hinterbliebenen und ihren Umgang mit dem Tod. Als Waffen erkennbare Gerätschaften müssen nicht unbedingt bedeuten, dass sie von den Vorfahren als solche eingesetzt wurden und die Zeiten also unruhige waren. Und Befestigungen zeugen nicht unmittelbar von realen Auseinandersetzungen – sondern spiegeln auch Befürchtungen.

Für eine zeitübergreifende Studie über Gewalt und Krieg im prähistorischen Europa schaute sich Heidi Peter-Röcher Skelettreste aus Gräbern genauer an. Hiebspuren an Speiche und Elle, zertrümmerte Schädel oder gebrochene Knochen – die Verletzungen erzählen den Archäologen so manches über das menschliche Zusammenleben und seine Konflikte. Und vieles über die Veränderungen der Gewalt. „Am schönsten ist, wenn die Pfeilspitze noch im Knochen steckt“, sagt die 48-jährige Archäologin schmunzelnd. 18000 Skelette von 120 Bestattungsplätzen wertete sie für die Studie aus. Die Zahl der erkennbaren Verletzungen durch Menschenhand – 422 insgesamt – war durchaus klein. „Aber die Art und die Schwere der Verletzungen unterscheiden sich in den verschiedenen Zeitstufen doch erheblich voneinander.“

Das Ergebnis kurz und knapp: „Im Laufe der Zeit ist es immer brutaler geworden.“ Bei den Knochen aus der Jungsteinzeit und der Bronzezeit fanden die Forscher vor allem verheilte Wunden und Schussverletzungen durch Pfeile – Male, die auf einen Fernkampf deuten. Je jünger die Skelette waren, desto schwerwiegender und vielfältiger wurden die Verletzungen durch Waffengewalt. „In der Jungsteinzeit gab es sippengebundene Fehden, vielleicht Rachefeldzüge aus persönlichen Motiven ab und an“, vermutet die Urgeschichtlerin und Ethnologin. „Jeder musste selbst sehen, wie er sich Recht verschafft.“ Wenn gebrochene Arme und leichte Kopfverletzungen von Kämpfen Mann gegen Mann zeugen, dann seien das wohl „ritualisierte Schaukämpfe gewesen, bis einer aufgibt“. In der Jungsteinzeit „ging es nicht um Leben und Tod, auch nicht um Beute“. Es ging um Überlegenheit.

Auch für die mittlere Bronzezeit seien – überraschenderweise – Verletzungen durch Pfeile und damit der Fernkampf typisch. Auch wenn es aus dieser Zeit viele Schwerter gibt – der Einsatz im Kampf lässt sich an den Skeletten bislang nicht belegen. „Später wird in Schlachten bis zum letzten Mann gekämpft.“ Mit der Brutalität nahm die Tötungsabsicht zu. Von der Eisenzeit an, spätestens in römischer Zeit ist das Massaker „eben nicht mehr die Ausnahme“, sagt Peter-Röcher. Die Massengräber von jungen Männern, die im Kampf fielen, verweisen auf Schlachten und kriegerische Aktionen im größeren Stil. Kämpfe, „an denen Menschen nicht unbedingt freiwillig teilnehmen, sondern auch gezwungen werden können“. Aspekte wie Macht, Herrschaft, Kontrolle und Beute traten allmählich in den Vordergrund – die Menschen begannen das Kriegshandwerk zu professionalisieren.

Was waren die Ursachen für die höhere Gewaltbereitschaft? Lag es an der Sesshaftwerdung, die am Übergang zur Jungsteinzeit begann? Den Streitigkeiten konnte man nun nicht mehr wie zuvor einfach aus dem Weggehen, sie mussten am Wohnort gelöst werden. Das könnte die Konflikte verschärft haben, zumindest bis neue Regeln für das Zusammenleben gefunden waren.

„Ich glaube nicht, dass der Krieg von Anfang an eine Rolle gespielt hat“, sagt die Berlinerin. „Die Gesellschaft hat sich verändert – der Krieg ist eine Folge.“ Erst als sich in den frühen Gesellschaften soziale Hierarchien entwickelten, konnten auch Armeen gebildet werden. „Der Krieg wie wir ihn heute kennen ist in einer weitgehend gleichen Gesellschaft nicht denkbar“, sagt Heidi Peter-Röcher. „Er ist an hierarchische Organisationsformen gebunden, die sich erst in der späten Bronzezeit entwickelten.“

Auch wenn sie nach jahrtausendealten Spuren gräbt – der Forscherin geht es vor allem um eine „Gesamtschau“ gesellschaftlicher Prozesse bis hinein ins beginnende Mittelalter. „Wir sind gefordert, Geschichte zu schreiben anhand unserer Funde und Befunde. Aber die Funde sprechen nicht aus sich selbst heraus. Das, wofür wir keine Parallelen haben, können wir auch nicht deuten“, sagt die Archäologin. Umso wichtiger sei, auf das Wissen anderer Fächer zurückzugreifen, um das Ausgegrabene interpretieren zu können.

Für das Massaker von Talheim haben britische Forscher übrigens gerade eine neue Untersuchung vorgelegt. Sie analysierten Strontium- und Kohlenstoff-Isotope im Zahnschmelz der Ermordeten und fanden dadurch heraus, dass nur ein Teil der Opfer am Ort des Geschehens aufgewachsen war. Vier Männer und acht Kinder gehörten zu der einheimischen Gruppe – aber keine Frau. Das lässt die Forscher vermuten, dass es bei dem steinzeitlichen Gemetzel nicht in erster Linie um Land oder lokale Macht ging. Sondern um Frauen. Eigentlich eine alte These, sagt die Würzburger Professorin. Interessant sei, dass die Frauen von außerhalb kamen, die Gesellschaft also vermutlich patrilinear, vaterrechtlich, organisiert war. „Dies steht der häufig vertretenen These entgegen, die frühen Ackerbauern seien mutterrechtlich organisiert gewesen.“

 

Text: Alice Natter, Mainpost

Fotos: dpa/Alice Natter

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