Ausgeplündert, doch voll mit Geschichte
08.10.2011Der Bullenheimer Berg ist bekannt - bei Fachleuten, bei Raubgräbern. Würzburger Forscher gehen der Höhensiedlung aus der Bronzezeit nun auf den Grund.
(AN) Die Raubgräber haben ganze Arbeit geleistet. Ausgeplündert ist der Bullenheimer Berg, alles Metall aus der Erde geholt. Knapp 40 Jahre nachdem der Tafelberg bei Kitzingen als Höhensiedlung aus der Bronzezeit erkannt und als Bodendenkmal erfasst wurde, braucht man nach Bronzefunden eigentlich gar nicht mehr zu suchen. „Der Bullenheimer Berg ist ein Topos, ein Synonym für Schatzgräberei in Süddeutschland", sagt der Würzburger Archäologieprofessor Frank Falkenstein.
Man wusste lange nicht viel über den Tafelberg am Rand des Steigerwalds. Nur dass dort viele Schätze zu holen waren. Also zogen die Laiengräber los.
Als in den 80er Jahren die ersten Metalldetektoren aus den USA kamen, machten sich Sondengänger von überall her auf zum Bullenheimer Berg, um nach Resten aus der Vergangenheit zu suchen. Und der Hügel war ergiebig. Irgendwann kamen organisierte Banden und plünderten systematisch. Sie zogen bronzene Waffen aus der Erde, Ringe und anderen Schmuck, Sicheln, Nadeln, ein Goldornat. Irgendwann tauchten die hochkarätigen Fundstücke aus der Urnenfelder Zeit illegal auf dem internationalen Kunstmarkt auf, die staatlichen Stellen mussten sie aufkaufen. Erst nach einem reichen Hortfund 1981, den die Sondengänger gemeldet hatten, war den Behörden bewusst geworden, welche Bedeutung der Berg mit seiner Ringwallanlage kulturgeschichtlich hat.
Ausgeplündert also. Als die Würzburger Professoren Frank Falkenstein und Heidi Peter-Röcher im vergangenen Jahr loszogen, die Höhensiedlung zu erkunden, fanden sie im Untergrund außer Scherben und Stein allenfalls noch korrodiertes Metall. Und Raubgräberlöcher. Aber um Objekte geht es dem Team vom Lehrstuhl für Vor- und Frühgeschichtliche Archäologie auch nur mittelbar. Die Schätze aus dem Boden, die in den Museen später in Vitrinen liegen, sind für sie nur Mittel zum Zweck. Sie graben nicht einfach aus. Sie betreiben Feldforschung mit modernen naturwissenschaftlichen Methoden. Und sie versuchen, die Fragen hinter den Gegenständen zu beantworten. „Uns geht es um die Informationen, die man den Objekten entnehmen kann", sagt Heidi Peter-Röcher.
Nur, mit den bekannten Raubgräber-Fundstücken können die Forscher heute allzu viel nicht anfangen. Wenn sie nicht genau wissen, wo und wie ein Fußring, eine Gewandnadel im Boden steckte, können sie nur schwer Zusammenhänge erschließen. Seit den drei Grabungskampagnen in den Achtzigerjahren schien der Hügel, der sich nordöstlich von Ippesheim rund 150 Meter hoch über den Gäuflachen erhebt, als archäologisch gut erforscht. Die Studie, die Georg Diemer 1995 nach den wissenschaftlichen Ausgrabungen vorgelegt hatte, war in der Fachwelt viel beachtet worden. „Der Bullenheimer Berg galt als bestuntersuchte Höhensiedlung der Urnenfelderzeit in Nordbayern", sagt Falkenstein. Eine ganze Reihe solcher befestigten Höhensiedlungen aus der Zeit zwischen 1300 und 800 vor Christus gibt es im Unterfränkischen. Schwanberg, Großer Knetzberg, Marienberg - in Abständen von bis zu 30 Kilometern, wie aufgereiht an einer Route.
Und der Bullenheimer Berg? Er ist ein exponiertes, flaches Gipfelplateau, stark bewaldet, rund 1200 Meter lang und 180 bis 400 Meter breit, mit einer Fläche von gut 30 Hektar und steil abfallenden Hängen. Der Ringwall, der mit einer Länge von 2,5 Kilometern die gesamte Ebene umschließt, ist bis heute gut zu erkennen. Georg Diemer hatte anhand von Schnitten durch den Randwall fünf Befestigungsphasen ausgemacht und auf die Hügelgräber-Bronzezeit, die Urnenfelderzeit und das Frühmittelalter datiert.
Dass sich die Würzburger Archäologen im vergangenen Jahr nach zwei Jahrzehnten Forschungspause wieder aufmachten, um die Vergangenheit zu enträtseln, ist einer Initiative des „Archäologischen Netzwerks Kitzinger Land" (ArchNetKL) zu verdanken. Die Arbeitsgruppe des Städtischen Museums Kitzingen hat sich zur Aufgabe gemacht, das Geländedenkmal zu schützen. Und so setzten sich Denkmalpfleger, Vertreter der Kommunen und Wissenschaftler zusammen, um zu erörtern, wie man den Bullenheimer Berg vor weiteren Plünderungen bewahren und auf moderne Weise erforschen könne.
Zunächst von oben: Bislang hatte es nur eine topografische Karte der Landvermesser gegeben. Und die Luftbilder zeigen nur: viel, viel Wald. 2010 begann die Bestandsaufnahme der Höhensiedlung mit einem Airborne Laserscanning vom Hubschrauber aus. Eine aufwendige Maßnahme, die unter anderem von der Kulturstiftung des Bezirks Unterfranken gefördert wurde. Das digitale Geländemodell, das mit den hochauflösenden Messdaten erstellt wurde, bietet den Forschem nun großflächig topografische Details der Landschaftsoberfläche. Nicht nur für Prähistoriker, auch für die mittelalterliche Landesgeschichte sind die Scans wertvoll: Die Lasermethode machte bisher unbekannte mittelalterliche Ackerfluren und das neuzeitliche Hohlwegsystem sichtbar. Das Plateau muss vor ein paar Jahrhunderten noch einmal für kurze Zeit von Bauern bewirtschaftet worden sein.
„Durch die Laserscans konnten wir auch die umfangreichen Wallanlagen erstmals präzise vermessen", sagt Falkenstein. Zweimal vier Wochen lang waren die Professoren im Frühjahr und Sommer 2010 mit ihren Studenten - gefördert vom Unibund - im Gelände zu Feldforschungen unterwegs. Das Ziel: mit modernen Prospektionsmethoden neue Informationen über die prähistorische Besiedlung zu gewinnen. Die Archäologen gingen das gesamte Plateau in Streifen ab. Sie suchten in Maulwurfshaufen oder im Wurzelwerk umgestürzter Bäume nach Keramikscherben. „So konsequent war die Oberflächenbegehung noch nie gemacht worden", sagt Falkenstein. Das Ergebnis: Offenbar war das gesamte Plateau besiedelt gewesen - zumindest im 9. Jahrhundert vor Christus.
Bei der Begehung der Wallanlagen machten die Forscher an verschiedenen Wallabschnitten vier unterschiedliche Typen aus, die neue Hinweise auf die Bauweise der Mauern lieferten. Die Steinmauer mit Hanggraben, die Georg Diemer ins Frühmittelalter datiert hatte, erwies sich - mit großer Wahrscheinlichkeit - als jüngstes Befestigungswerk der Urnenfelderzeit. Die Mauer wurde nie vollendet - „wahrscheinlich markiert sie das Ende der Besiedlungsabbruch auf dem Bergplateau am Ende der Urnenfelderzeit", sagen die Archäologen. Es passt ins Bild: Um 800 vor Christus müssen alle Höhensiedlungen innerhalb von einer Generation verlassen worden sein. Drängte vielleicht ein Klimaeinbruch die Menschen wieder in die Täler?
Der nächste Schritt: Die Forscher gingen 14 Areale mit einem Fluxgate-Gradiometer ab, das das Erdmagnetfeld misst, und erstellten für eine Fläche von gut 15 000 Quadratmetern eine magnetische Prospektion, mit der sich Besonderheiten im Untergrund erfassen lassen. Anhand der magnetischen Feldmessungen können sie Details zum Befestigungswerk klären, Toranlagen nachweisen. „Diese geophysikalischen Methoden erlauben einen Blick in den Boden, ohne den archäologischen Befund zu zerstören", sagt Falkenstein. „Doch sie ersetzen nicht die Grabungen."
Was die Forscher bei den ersten kleinen Bohrungen sahen: Trotz der leichten Hanglage hatte es auf der Hochfläche in 3000 Jahren kaum Bodenerosionen gegeben, große Bereiche sind noch von einer dünnen prähistorischen Kulturschicht bedeckt. Dass das Gelände über die späteren Jahrhunderte nicht bebaut, seit der Eisenzeit kaum beackert worden war - ein Glücksfall. Bei Probegrabungen konnte das Team zeigen, dass an den Hangbereichen des Plateaus in der Urnenfelderzeit auf künstlichen Terrassen Wohnhäuser gestanden hatten. Unter den Pflugspuren eines mittelalterlichen Wölbackers fanden die Ausgräber eine 20 Zentimeter dicke Kulturschicht mit dem Brandschutt eines bronzezeitlichen Hauses. Leider keine Knochen, keine Speisereste - denn im sauren Keuper-Boden ist alles Organische schnell zersetzt.
„Wir wissen relativ wenig über die bronzezeitlichen Höhensiedlungen", sagt Heidi Peter-Röcher. Wie viel Menschen lebten dort oben? Wie versorgten sie sich? Betrieben sie Viehwirtschaft? Wie bauten sie? Welche Sozialstruktur hatte die Siedlung? Wie tauschte man sich aus mit der nächsten Siedlung, die eine Tagesreise entfernt lag? Dienten die mächtigen Wallmauern zum Schutz oder einfach der Repräsentation? Und stammt die Keramik aus der nahen Umgebung oder ist sie Importware? Antworten kann Professor Ulrich Schüßler vom Lehrstuhl für Geodynamik und Geomaterialforschung geben: Die Materialforscher werden Gefäßscherben und Steinartefakte, die die Archäologen am Bullenheimer Berg aus der Erde picken, genau analysieren. Durch archäometrische Untersuchungen am mineralischen Material erhoffen sich die Wissenschaftler Antworten auf viele der Fragen, die der Bullenheimer Berg noch birgt.
aus: MAINPOST, 08. Oktober 2011, S. 36 (Vom Redaktionsmitglied Alice Natter)