Das mittelalterliche Erfurt und seine Umgebung: Zentrum jüdischen und christlichen Lebens
11. bis 14. Juni 2024
Das Ziel der von Dr. Frederieke Maria Schnack geleiteten Exkursion nach Erfurt und Umgebung war es, einen vertieften Einblick in das jüdische sowie christliche Leben in einer mittelalterlichen Stadt zu geben. Darin sollten auch religionsgeschichtliche Veränderungen mit großem Wirkungsradius sowie Einzelaspekte der Geschichte Thüringens und des römisch-deutschen Reiches im Mittelalter und in der beginnenden frühen Neuzeit einbezogen werden. Die Anmeldung zur Exkursion war für Studierende des Faches Geschichte und verwandter Fächer der Philosophischen Fakultät der Julius-Maximilians-Universität möglich. Es nahmen insgesamt acht Studierende teil, die sich in unterschiedlichen Stadien ihres Studiums befinden und sich aus eigenem Interesse mit der mittelalterlichen Geschichte Erfurts und seiner Umgebung näher auseinander setzen wollten.
11. Juni 2024: Anreise und Stadtrundgang
Am Morgen des ersten Exkursionstages traf sich die Gruppe am Würzburger Hauptbahnhof, um gemeinsam um 8.01 Uhr mit dem Regionalexpress nach Erfurt zu reisen. Vor der Abfahrt wurden die Exkursionsreader mit den Handouts, einer Zeitleiste zum Leben Martin Luthers und weiteren nützlichen Informationen (Programm, Stadtplan) verteilt. Nach rund zwei Stunden und 20 Minuten erreichte die Gruppe Erfurt und machte sich auf den nur rund fünfminütigen Weg zum nahe dem Bahnhof gelegenen Hotel, wo das Gepäck abgestellt werden konnte.
Anschließend begann ab dem späten Vormittag ein Stadtrundgang, den zwei Studierende als Ersatz für ein Referat konzipiert hatten: Es wurden auf einem rund 6,5 Kilometer langen Spaziergang alle zentralen Sehenswürdigkeiten der Stadt besucht, wobei diese jeweils von der Exkursionsleiterin kurz vorgestellt und im Fall der Kirchen mit Ausnahme des Doms und St. Severi, deren Besuch für den vierten Exkursionstag vorgesehen war, alle besichtigt wurden.
Bis ca. 17.30 Uhr konnte die Gruppe so einen umfangreichen Einblick in die Geschichte der gut erhaltenen Erfurter Altstadt gewinnen. Der Weg führte die Studierenden über den Anger und den Wenigemarkt an der Krämerbrücke vorbei zur Alten Synagoge, die am zweiten Exkursionstag näher besichtigt werden sollte. Auf dem Domplatz wurde auf den Dom sowie die St. Severikirche hingewiesen, anschließend ging es für eine Mittagspause zurück in die Nähe der Krämerbrücke.
Nach der Pause stand die frühneuzeitliche Zitadelle Petersberg auf dem Programm, von wo aus bei strahlendem Sonnenschein der Ausblick über die Altstadt genossen werden konnte. Nach einem Einblick in die Entstehung der Zitadelle und ihre räumliche Ausdehnung wurde die ehemalige Klosterkirche St. Peter und Paul, die seit rund 30 Jahren als Ausstellungsort für zeitgenössische Kunst genutzt wird, von außen besichtigt. Das Gebäude ist in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts entstanden; an der Südfassade ist noch heute eine Ritzzeichnung von Christus als Schmerzensmann aus der Mitte des 14. Jahrhunderts zu sehen.
Nach dem Abstieg vom Petersberg stand mit der Predigerkirche ein weiteres Monument der städtischen Sakraltopographie auf dem Programm, das zudem den Blick auf die Bettelorden, in diesem Fall auf den Dominikanerorden, lenkte. Bei der Besichtigung standen die mittelalterlichen Ausstattungsobjekte der Klosterkirche sowie die vielen erhaltenen Grabsteine im Mittelpunkt. Die Barfüßerkirche als nächste Station zeigte analog den Einfluss des Franziskanerordens auf. Auch wenn das Langhaus des Bauwerks im Herbst 1944 zerstört wurde und der Chor derzeit nicht zugänglich ist, ließ sich an den noch vorhandenen Mauerrelikten doch erahnen, welche Bedeutung die Minderbrüder neben den Dominikanern im mittelalterlichen Erfurt besessen hatten.
Nachfolgend wurde das Rathaus am Fischmarkt angesteuert, das im 19. Jahrhundert als neugotisches Bauwerk anstelle des abgerissenen mittelalterlichen Vorgängerbaus errichtet worden war. Von dort war es nur ein kurzer Weg zur Krämerbrücke, deren Entstehung und Geschichte kurz erläutert wurde, ehe die Gruppe die Gelegenheit hatte, den Turm der Ägidienkirche, des östlichen Zugangs zur Krämerbrücke, zu erklimmen und von dort die Stadt aus einer abermals anderen Perspektive in Augenschein zu nehmen.
Nach einer kurzen Pause wurde die mittelalterliche Mikwe, das Ritualbad der jüdischen Gemeinde, von außen betrachtet, ehe es weiterging zur gegenüber dem Collegium Maius gelegenen Michaeliskirche, die seit Ende des 14. Jahrhunderts die Erfurter Universitätskirche ist und u. a. von Martin Luther besucht wurde. Dessen zeitweiligen Wirkungsort, das Augustinerkloster, suchte die Gruppe anschließend auf und besichtigte die Kirche samt Kreuzgang. Für einen kurzen Schreckmoment sorgte die plötzlich verschlossene Verbindungstür, die den Rückweg in die Kirche versperrte – gemeinsam wurde aber ein anderer Ausweg aus dem Kreuzgang gefunden, sodass niemand auf dem harten Steinboden nächtigen musste.
Den Abschluss des Rundgangs bildete das Viertel Klein-Venedig, das seinen Namen von den vielen Armen der Gera erhalten hat. Ein gemeinsames Beisammensein im Restaurant, bei dem die Gruppe freiwillig – soweit per Handy akustisch möglich – per Zoom am Vortrag der Ringvorlesung des Kollegs Mittelalter und Frühe Neuzeit teilnahm, rundete den Tag ab und bot die Möglichkeit, das Gesehene noch einmal zu reflektieren.
12. Juni 2024: Die jüdische Geschichte Erfurts
Am zweiten Exkursionstag stand die mittelalterliche jüdische Stadtbevölkerung im Fokus. Nach einem Spaziergang zur Alten Synagoge wurde der jüdischen Gemeinde ein kurzes einführendes Referat gewidmet, ehe um 10.00 Uhr eine umfangreiche, dreistündige Führung durch die Alte Synagoge, die Mikwe und bis zur Kleinen Synagoge begann. Die Gruppe erfuhr viele Details zur Baugeschichte der ab dem 11. Jahrhundert errichteten Alten Synagoge, welche die älteste bis zum Dach erhaltene Synagoge Mitteleuropas ist. Infolge des Pogroms von 1349, bei dem die gesamte jüdische Gemeinde Erfurts mit bis zu 900 Menschen ermordet wurde, gelangte das Bauwerk an die Stadt, wurde verkauft und schließlich ein Lagerhaus. Viele verschiedene Nutzungsformen, darunter als Gaststätte mit Tanzsaal, ließen den eigentlichen Zweck des Gebäudes in Vergessenheit geraten und verhinderten die Zerstörung der Synagoge in der Zeit des Nationalsozialismus. Ab Beginn der 1990er Jahre förderten bauhistorische Untersuchungen die Geschichte des Bauwerks zutage, woraufhin Maßnahmen zur Rettung und zur Einrichtung eines Museums ergriffen wurden.
Das Museum beleuchtet die Geschichte des Gebäudes selbst und der jüdischen Gemeinde im Mittelalter, wobei u. a. Faksimiles mittelalterlicher Erfurter Handschriften und der sogenannte Erfurter Schatz ausgestellt werden, der mutmaßlich kurz vor dem Pogrom von 1349 vergraben wurde. Eine Medienstation gibt einen Einblick in den Ablauf der Ereignisse von 1349 und spätere neue Ansiedelungen jüdischer Familien im Stadtgebiet. Nur wenige Schritte von der Alten Synagoge entfernt ist die mittelalterliche Mikwe zu finden, die erst im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts wiederentdeckt wurde und nun in Führungen der Öffentlichkeit zugänglich ist. Hier erhielt die Gruppe viele Informationen zur Gestaltung und Nutzung des ehemaligen Ritualbades sowie zur Wiederentdeckung.
Nach einer Pause stand am Nachmittag der Besuch der Kleinen Synagoge auf dem Programm, deren Ausstellung in die neuzeitliche Geschichte der Erfurter jüdischen Gemeinde einführt und mit jüngst erarbeiteten Medienstationen die geschichtlichen Zusammenhänge anhand einzelner Familienschicksale verdeutlicht. Das Tagesprogramm hat der Exkursionsgruppe die historische Bedeutung der jüdischen Gemeinde und ihrer Relikte vor Augen geführt und zugleich das verheerende Ausmaß des mittelalterlichen Pogroms von 1349 sowie der Verfolgungen während des Holocausts aufgezeigt. Der Fokus auf den Gebäuden der jüdischen Gemeinde hat zudem den Aspekt der Nachnutzung, Wiederauffindung und Restaurierung mittelalterlicher Bauwerke ins Blickfeld gerückt. Wiederum kam die Gruppe am Abend zu einem gemeinsamen Abendessen zusammen, bei dem man sich über die Erlebnisse des Tages und das folgende Programm austauschen konnte.
13. Juni 2024: Wartburg und Eisenach
Der erste Weg am dritten Tag der Reise führte am Morgen zum Erfurter Bahnhof, da die Gruppe mit dem Regionalexpress nach Eisenach fuhr, von wo aus es mit dem Bus auf die Wartburg ging. Nach dem Aufstieg wurde zunächst ein Gruppenfoto gemacht, anschließend wurde die Geschichte und bauliche Struktur der Burg in einem überblicksartigen Referat erläutert. Ein weiteres Referat war der Zeit gewidmet, die Martin Luther u. a. für die Bibelübersetzung auf der Wartburg verbrachte. Dieser Themenabschnitt knüpfte zum einen an den ersten Exkursionstag und den Besuch des Au-gustinerklosters, zum anderen aber auch an den zweiten Exkursionstag und die jüdische Geschichte an, da sich in mehreren von Luthers Werken zeittypische antijudaistische Positionen finden lassen. Dank einer Führung durch den Palas und angrenzende Gebäudeteile erhielten die Studierenden einen guten Eindruck von der Raumaufteilung der Wartburg und den einzelnen Bau-/Umbauphasen. Zudem wurde deutlich, dass die heutige Gestalt der Wartburg mitnichten rein auf das Mittelalter zurückgeht und dass die Restaurierungen und Umbauten deutlich von historistischen Idealen geprägt wurden.
Nach der Mittagspause wurde mit einem weiteren Referat der Fokus auf den römisch-deutschen König Heinrich Raspe gelenkt, der auch als Landgraf von Thüringen geherrscht hatte und 1247 auf der Wartburg verstarb. Der Aufstieg auf den Südturm der Burg rundete den Besuch ab, anschließend ging es mit dem Bus wieder zurück nach Eisenach, wo ein kurzer Stadtrundgang auf dem Programm stand. Unter anderem wurden in der Georgenkirche die mittelalterlichen Grabplatten mehrerer Mitglieder der Familie der Landgrafen von Thüringen angeschaut. Am späten Nachmittag fuhr die Gruppe wieder nach Erfurt zurück. Auch am letzten vollen Exkursionstag stand abends ein freiwilliges gemeinsames Essen auf dem Programm.
14. Juni 2024: Der Erfurter Domberg
Der letzte Exkursionstag stand ganz im Zeichen des Dombergs. Nach einem Referat zur Geschichte des Bistums Erfurt und der kirchlichen Zugehörigkeit der Stadt erhielt die Gruppe eine Führung durch den Dom, in der u. a. der Kreuzgang, die ältesten, hochmittelalterlichen Ausstattungsgegenstände, mehrere andere Kunstwerke und die Phasen der Baugeschichte präsentiert wurden. Ausnahmsweise durfte die Exkursionsgruppe sogar im mittelalterlichen Chorgestühl aus dem 14. Jahrhundert Platz nehmen.
In einer folgenden einstündigen Pause gab es die Gelegenheit, die St. Severikirche eigenständig zu besuchen, anschließend folgte eine kombinierte Führung zu den Glocken des Doms und in den Dachstuhl zum Marienmosaik. Diese Orte sind regulär nicht zugänglich und können nur im Rahmen von Führungen besucht werden. Nach dem Aufstieg zum Geläut erklärte der Domführer der Gruppe, wie das Glockenensemble über die Jahrhunderte konzipiert worden war und welche baulichen Herausforderungen der Einbau und Betrieb der Glocken mit sich bringt. Drei Studierende durften drei kleinere Glocken nacheinander eigenständig mit der Hand anschlagen, um einen Eindruck vom Klangvolumen zu erhalten. Höhepunkt war der Besuch des Raums mit der Gloriosa, der ältesten freischwingenden mittelalterlichen Glocke der Welt.
Nach dem Abstieg vom Turm erhielt die Gruppe Zugang zum Dachstuhl, wo sich nicht nur die mittelalterlichen Gewölbe der Kirche von oben bewundern lassen, sondern auch seit wenigen Jahren das sogenannte Marienmosaik aufgehängt ist. Es zierte ab 1870 nach dem Umbau des Daches im Sinne der Neugotik einen neugeschaffenen Giebel, musste 1968 aber entfernt werden, als das neugotische Dach aus statischen Gründen zurückgebaut wurde. Seit 2018 ist das in den zwei vorangegangenen Jahren restaurierte Mosaik wieder in einer musealen Präsentation zu sehen, die zugleich einen Eindruck von statischen und architekturalen Gegebenheiten mittelalterlicher Kirchen vermittelt. Dieser Punkt schloss das Exkursionsprogramm ab; am Nachmittag trat die Gruppe die Rückfahrt an und erreichte gegen 18.00 Uhr wieder die Stadt Würzburg.
Insgesamt hat die Exkursion einen guten Einblick in die räumliche Aufteilung einer mittelalterlichen Stadt und die Lebenswelten ihrer jüdischen wie christlichen Bevölkerung gegeben. Die einzigartigen Zeugnisse jüdischen Gemeindelebens, die vielfältigen Relikte der christlichen Sakraltopographie und der damit verbundene Blick auf die jeweils andere Religion konnten anschaulich vor Ort erkundet werden. Hinzu trat die übergeordnete Frage nach der musealen Aufbereitung und Darstellung historischer Inhalte, die anhand mehrerer Programmpunkte untersucht werden konnte. Der Ausflug auf die Wartburg trug hierzu seinen Teil bei und lenkte zudem den Fokus auf das Königtum Heinrich Raspes als Aspekt der Geschichte des römisch-deutschen Reiches im Mittelalter sowie auf Martin Luther. Die vielfältigen neuen Eindrücke haben die Gruppe wirklich begeistert und für viel neues Wissen gesorgt – wir blicken auf eine schöne Exkursion nach Erfurt und Umgebung zurück!