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MUS-IC-ON

Hydraulis

Transparenter Funktionsmechanismus einer römischen Hydraulis (Michael Zierenberg)

Die antike Wasserorgel, griechisch Hydraulis, zählt sicherlich zu den spektakulärsten und technisch aufwendigsten Erfindungen eines Musikinstrumentes der griechisch-römischen Antike. Im späten 3. Jahrhundert v. Chr. soll der Mechaniker Ktesibios in Alexandria dieses Tasteninstrument entwickelt haben. Die große Leistung des Instruments liegt im Wesentlichen darin, dass Pfeifen (griechisch: aulos/-i) nicht mit dem menschlichen Atem, sondern mit (Wasser-)Druckluft (griech. hydor = Wasser) angeblasen werden. Die große Innovation dabei ist, dass kontinuierlich ein gleichmäßiger Luftstrom erzeugt wird, mit dem dann mehrere Töne gleichzeitig erklingen können.

Die Grundbestandteile jeder Orgel bestehen aus dem Windwerk, der Windlade, dem Spieltisch und den Pfeifen. An drei archäologisch überlieferten Instrumenten haben sich vor allem Teile der Pfeifen und des Spieltisches mit Registratur erhalten, für Funktionsweise von Windwerk und Windlade hingegen sind wir auf die schriftlichen Quellen angewiesen. Zu dieser kombinatorischen Rekonstruktion kommen noch Bilder hinzu, die weitere Details überliefern. Bleiben wir aber beim Kernstück der Erfindung, den – stets mit einem hölzernen Kasten verkleideten – hydraulischen Mechanismus der Windanlage. Seine Funktionsweise scheint derart komplex, dass selbst der antike Architekturtheoretiker und sonst so wortgewandte Schriftsteller Vitruv nach der Beschreibung der Bauweise eine praktische Kenntnis der Hydraulis fordert:

„Ich habe mich, soweit ich dies erreichen konnte, angestrengt, diesen schwer verständlichen Gegenstand anschaulich vorzutragen: Es ist dies aber keine leichte Theorie und nicht allen wohlverständlich, sondern nur denjenigen, welche in derartigen Dingen durch Übung erfahren sind. Wenn aber auch jemand dies aus der Beschreibung nicht vollständig aufgefasst hat, so wird er doch, wenn er die Sache selbst praktisch kennenlernt, sicher zu dem Urteil kommen, dass alles in überlegter und scharfsinniger Weise angeordnet ist.“ (Vitruv, Über die Architektur X,8,6, übers. Reber).

Diesem Ratschlag folgend wurde für die Ausstellung MUS-IC-ON! ein transparentes und spielbares Funktionsmodell angefertigt, an dem die komplizierte Technik jedem Laien verständlich wird. – Sind in unserer Vorstellung Orgeln in der Regel fester Bestandteil eines Kirchenraums, so erklangen sie in der Antike zu zahlreichen Anlässen: In der Arena des Amphitheaters, in den privaten Gemächern der römischen Oberschicht bis hin zum kaiserlichen Palast am byzantinischen Hof. Bekannt ist das Faible des musikbegeisterten Kaisers Nero für den Klang und den Mechanismus der Orgeln:

„ […] er ließ vielmehr einige der führenden Männer zu sich in den Palast vorladen, beriet sich hastig mit ihnen, um ihnen dann den Rest des Tages Wasserorgeln eines neuen, noch nie dagewesenen Typs vorzuführen; er zeigte ihnen jede einzelne und erging sich in Erklärungen über ihren Mechanismus und die Schwierigkeiten bei ihrer Bedienung; er versicherte ihnen, er werde sie in Kürze alle im Theater vorführen […]“ (Sueton, Nero 42,2, übers. Martinet)

Neben dem Modell steht der Nachbau einer antiken römischen Orgel nach einem archäologischen Fund aus Budapest (Ungarn), RGZM Mainz, Kooperationspartner: Alexander Schuke Potsdam-Orgelbau GmbH, Michael Zierenberg. In Aquincum (Budapest) wurden zahlreiche Fragmente einer nahezu vollständigen Orgel gefunden. Als Wasser- oder Balgorgel wurde sie wohl bei Festen im Haus gespielt. Einzug in die Bischofskirchen Europas hielten Orgeln erst im 9. Jahrhundert.

Die Inschrift der Aquincum-Orgel lautet: G(aius) IVL(ius) VIATORINVS DEC(urio) COL(oniae) AQ(uinci) AEDILICIVS PRAEF(ectus) COL(egii) CENT(onariorum) HYDRAM COLL(egio) S(upra) S(cripto) DE SUO D(onum) D(edit) MODESTO ET PROBO CO(n)S(ulibus)
Übersetzung: Gaius Julius Viatorinus, Stadtrat der Kolonie Aquincum, Leiter des Ordnungsamts und der Feuerwehr, stiftete diese Orgel auf eigene Kosten der zuvor genannten Organisation zur Zeit des Konsulats von Modestus und Probus (= 228 n. Chr.)

Begleitet werden Modell und Rekonstruktion von einem Porträt des Nero (Rom, 64–68 n. Chr., München, Glyptothek, Abguss: Würzburg, Lehrstuhl für Klassische Archäologie). Der römische Kaiser ist für sein ambitioniertes Auftreten als Sänger und Musiker bekannt. Es wird überliefert, dass er in seinem Palast auf einer Vielzahl von Wasserorgeln spielte.

Florian Leitmeir