Museologie goes Stockholm!
Bericht über die Mehrtagesexkursion vom 1. bis 6. August 2022
Mo., 1.8.2022: Nach einem Einführungstag mit Referaten und sonstigen Beiträgen in der Woche zuvor, machte sich eine zweite Gruppe mit 25 Würzburger BA- und MA-Studierenden gut vorbereitet frühmorgens Richtung Stockholm auf. Nach Ankunft und Zimmerbezug stand eine ausführliche Stadtführung mit Besichtigung von Altstadt und Zentrum auf dem Programm, um die schwedische Hauptstadt mit ihren beeindruckenden Bauten sowie schier endlosen Wasser- und Grünflächen kennenzulernen. Ein unerwartetes Highlight bildet die U-Bahn, hier Tunnelbana genannt: Sehr viele Haltestellen sind kunstvoll verziert, verbinden oft ironisch Altes und Modernes und stellen damit die wohl größte Kunstausstellung der Welt dar.
Die., 2.8.2022: Nach Besichtigung des riesigen Schlosses mit Wachablösung hielt der Tag einige Überraschungen bereit. So bestach die Rüstkammer, das älteste Museum Schwedens, durch raffinierte Raumbilder in altem Gemäuer, während sich das Nationalmuseum durch die kluge Kombination von Gemälden und Kunstgewerbe mit verständlichen und diskriminierungskritischen Texten hervortat. Den Abschluss bildete das Stadtmuseum mit seiner neuen Dauerausstellung: Mit Hilfe abwechslungsreicher Inszenierungen, spannender Objektkombinationen und vielen Mitmachstationen will man - so Direktor Linder im Gespräch - bewusst die Besucher:innen, die man bei der Konzeption auch einbezogen hat, emotional ansprechen: Das ist gelungen, wie wir alle finden.
Mi., 3.8.2022: Heute hatten wir ein volles Programm! Der Tag begann im 1873 von Artur Hazelius gegründeten Nordiska Museet: Hier setzten wir uns ausstellungsanalytisch intensiv mit der Sonderausstellung „The Arctic – While the Ice is Melting“ auseinander, die zwar über Inhalte, Gestaltung und Raumbilder punktet, aber trotz ‚Kinderspur‘ nur wenig inklusive und Mitmach-Angebote vorweisen kann. Danach tauchten wir in die schwedische Geschichte ab. Neben einem Wikingerlager für Kinder präsentierte das etwas in die Jahre gekommene Historische Museum einen kulturgeschichtlich reich mit Objekten bestückten Überblick von der Wikingerzeit bis ins Mittelalter. Hieran schließt thematisch das Mittelaltermuseum an. Von einer archäologischen Grabung ausgehend, werden unter Tage die Reste der Stadtmauer mit verschiedenen Nachbauten (Kirche, Handwerkerhaus, Taverne etc.) ‚erlebbar‘ gemacht, wobei die Grenzen zwischen Authentizität und Nachbildung bisweilen verschwimmen. Dessen ungeachtet muss das Haus, wie Educaterin Gudrun Wessnert erläuterte, demnächst Erweiterungen des Reichstags Platz weichen und in einem neuen Quartier sein Konzept neu überdenken. Gänzlich frei von solchen Sorgen zeigt sich eines der besucherstärksten Häuser Schwedens: das ABBA Museum, das wir abends besuchten. Nachbauten, Dokumente und viele Objekte der weltberühmten Musikgruppe, vor allem aber Mitmachbühnen und Mitsingmöglichkeiten schaffen mit den in Endlosschleife abgespielten Hits als Soundscape ein „Mamma Mia“-Gefühl, das mitreißt und für einen schwungvollen Ausklang des langen Tages sorgte.
Don., 4.8.2022: Stockholm hat eine Menge an Parks und Bäumen aufzuweisen, aber auch die vielen Inseln, Seen, Kanäle und Verbindungen zur Ostsee verleihen dieser Stadt ein grünes Image. Hinzu kommt, dass man von hier aus mit den öffentlichen Verkehrsmitteln sehr schnell in der Natur ist: In unserem Falle im nahe gelegenen Museumspark „Museiparken“ mit Seeblick. Dort finden sich neben dem seehistorischen und Polizeimuseum auch das technische und ethnographische Museum, die unser Ziel bildeten. Am Eingang des rund hundert Jahre alten Technikmuseums empfingen uns Direktor Peter Skogh und Anders Lindeberg-Lindvet und wir konnten selbst sehen, wie viele Familien und Grundschulklassen, hineinströmten. Das aus mehreren Gebäuden bestehende Haus enthält einige klassische Bereiche (Bergwerk, Mobilität) und Science Center-Räume. Unter Einbeziehung von Kindern und Menschen mit Behinderung hat man sich aber auf jüngere Zielgruppen eingestellt, wobei die vielen Experimentier- und Mitmachstationen bei den neueren Ausstellungen (Stadt/Mobilität, ComputerGames) in eine moderne Gestaltung eingebettet sind. Zugleich erfuhren wir viel über die Sammlungen, die man mit modernen Ansätzen weiterentwickelt (Digitalstrategie, ECulture, ANT-basiertes Sammeln, Handling Collection, no exhibition without research). Das ethnographische Museum war dagegen weniger frequentiert und wurde uns durch die Educaterin Karin Wästfelt selbstkritisch vorgestellt. Dort hat man zwar schon vor 10 bis 20 Jahren begonnen, die kolonialen Kontexte der Sammlungen aufzuarbeiten und mit Communities zusammenzuarbeiten, etwa bei Restitutionen, doch vermissten wir neuere experimentelle und interdisziplinäre Ansätze. Danach war Freizeit angesagt, die viele von uns für einen Bootstrip in die Schären nutzten: Ziel war die kleine Insel Fjäderholmarna, in den Weltkriegen militärisches Sperrgebiet, heute Naherholungsziel mit wenigen Bewohnern. Hier lebten wir unsere „Saltkrokan“-Erinnerungen aus und ließen den Abend bei einem wunderbaren Sonnenuntergang ausklingen.
Fr., 5.8.2022: Am Schlusstag unserer inhaltlich, gruppendynamisch und wettertechnisch hervorragenden Mehrtagesexkursion standen die großen Häuser auf dem Programm. Mit 1,4 Mio. Besucher:innen ist das von Artur Hazelius gegründete Skansen (= Berg) die Nummer zwei unter den meistbesuchten Häusern Schwedens. Helen Myhr Radell und Staffan Hansing gaben uns mit ihrer Führung einen Überblick über das weltweit erste Freilichtmuseum, das neben 200 Gebäuden auch einen Zoo und viele Freizeitvergnügungen unterhält. Besonders beeindruckte der Einsatz von Living History: In vielen Häuser informieren engagierte Educators, die sich quellenbasiert eine Figur erarbeitet haben, in zeitgenössischer Kleidung über deren Bewohner:innen und Geschichte. Skansen bildete das erste Museum auf der Insel Djugarden, heute sind dort ein halbes Dutzend weiterer Häuser untergebracht, 2021 kam als jüngstes das Museum of Wrecks dazu. Mit moderner Technik wird atmosphärisch ins Thema Unterwasserarchäologie in der Ostseee (Baltic Sea) eingeführt, im Mittelpunkt steht die Erforschung von Wracks seit 7.000 v. Chr. Der klar strukturierte Aufbau, die gut erzählten Kapitel und die intelligent eingesetzten digitalen Angebote, die wir im SoSe bereits bei einem Online-Gastvortrag kennenlernten, haben hohen Informations- und Unterhaltungswert und machen vergessen, dass viele Objekte gar nicht gezeigt werden können, weil sie eben auf dem Meeresgrund liegen. Inhaltlich ergänzt das Wrack-Museum das seit rund 30 Jahren bestehende Vasa-Museum, mit 1,5 Mio. Besucher:innen Schwedens meist frequentiertes Haus. Hier wird das gewaltige Kriegs- und Prunkschiff Vasa ausgestellt, das vor fast 400 Jahren nur 20 Minuten nach seinem Stapellauf in der Bucht vor Stockholm sank und 1961 geborgen wurde. Aufwendig restauriert besteht es heute zu 98 % aus originaler Substanz und macht nicht nur wegen seiner schieren Größe, sondern auch wegen seiner vielfältigen Verzierungen großen Eindruck. Damit endet unsere Stockholm-Exkursion, die uns spannende Einblicke in die vielfältige, besucherfreundliche und meist modern gestaltete Museumslandschaft Schwedens gab und von der wir am nächsten morgen früh wieder Richtung Würzburg aufbrachen.
Bericht und Fotos: Guido Fackler, 2022