Roter Faden durch die Spätgotik
22.12.2021Nordalpine Baukultur des Spätmittelalters: Damit beschäftigt sich ein neues Netzwerk, das die Deutsche Forschungsgemeinschaft genehmigt hat. Federführend sind die kunsthistorischen Institute der TU Dresden und der Uni Würzburg.
Kunst und Architektur des 15. und 16. Jahrhunderts: Wer denkt da nicht an Renaissance, an Florenz, Mailand oder Rom? An Michelangelo, Giorgio Vasari und Leonardo da Vinci? Dass zur gleichen Zeit nördlich der Alpen und im gesamten deutschsprachigen Raum die Spätgotik für tiefgreifende Veränderungen gesorgt hat, die unser Bild- und Kunstverständnis bis heute prägen, wird darüber leicht vergessen.
„In der Kunstgeschichte dominierten für diesen Zeitraum Forschungen zur Renaissance und italienischen Kunst. Dies ändert sich seit einiger Zeit: An Objekten und Aspekten der Kunst jenseits der Alpen gelegener Räume, für die die Wissenschaft lange blind war, gibt es ein immer stärkeres Interesse“, so Stefan Bürger. Der Kunsthistoriker hat an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) eine Professur am Institut für Kunstgeschichte inne und will gemeinsam mit dem Netzwerk diese Entwicklung voranbringen und dafür auch wissenschaftlichen Nachwuchs gewinnen.
Immense Fülle an Objekten der Bau- und Bildkunst
Gemeinsam mit Bruno Klein, Inhaber der Professur für Christliche Kunst der Spätantike und des Mittelalters der TU Dresden, hat er deshalb das Netzwerk „Nordalpine Baukultur des Spätmittelalters“ ins Leben gerufen. Daran beteiligt sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 15 Universitäten – von Kiel bis Zürich, von Straßburg bis Wien. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft finanziert das Projekt über einen Zeitraum von drei Jahren.
„Aus dem 15. und 16. Jahrhundert existieren heute noch eine immense Fülle an Objekten der Bau- und Bildkunst. Und mit dieser Fülle wachsen die methodischen Möglichkeiten, diese zu betrachten und zu bewerten. Was fehlt, ist ein Überblick über diese Objekte, ihre Aspekte und die Möglichkeiten, sie wissenschaftlich zu bearbeiten. Diese Fülle erschwert es beispielsweise Studierenden, sich in dem Forschungsfeld zu orientieren und gegebenenfalls Fuß zu fassen“, urteilt Stefan Bürger.
Um das zu ändern, sollen die zahlreichen Mitglieder des Netzwerks ihre jeweiligen Spezialgebiete sowie ihre Erkenntnisse aus der Archiv- und Quellenforschung, der Bauforschung und der Architekturgeschichte in die gemeinsame Arbeit einbringen. Ziel ist es, die vielfältigen Forschungsergebnisse und -strategien im deutschsprachigen Raum zu bündeln oder, wie Stefan Bürger sagt: „Wir müssen rote Fäden legen!“
Unterfränkische Baukultur von unten
Bürger hat sich beispielsweise in den vergangenen Jahren intensiv mit spätmittelalterlichen Bauwerken in Unterfranken beschäftigt. Besonders die „Baukultur von unten“ habe ihn dabei interessiert – also die kleine, unscheinbare Kirche in einer unterfränkischen Gemeinde und nicht die Residenz oder Festung in der Stadt. Tausende Fotos von 250 Objekten habe er dafür aufnehmen lassen und anschließend ausgewertet.
„Mich hat die Frage geleitet, was in dieser Zeit baukulturell in den Dörfern passiert ist, welche Veränderungen es möglicherweise gegeben hat und welche Absichten hinter diesen Veränderungen gesteckt haben könnten“, sagt Bürger. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen will der Kunsthistoriker schon bald der Öffentlichkeit präsentieren. Das zweibändige Werk ist druckfertig und soll Anfang 2022 erhältlich sein.
Überraschender Fund zur Haupthütte in Würzburg
Aber natürlich interessiert sich Bürger neben den kleinen Kirchen auch für die großen „Leuchttürme“ dieser Zeit, wie etwa die Würzburger Marienkapelle, auch Teile des Würzburger Domes, größere Stadtkirchen wie in Haßfurt, Kitzingen, Ochsenfurt oder Volkach.
Im Zusammenhang mit Forschungen zu Konfliktfällen im Bauwesen und zum Bauhandwerk der Steinmetzen war unter anderem durch den Hinweis eines Kollegen auch ein unbeachtetes Quellenkonvolut in seinen Blick geraten. Eine intensive Recherche in Dresdner und Weimarer Archiven lieferte Bürger die Namen von Werkmeistern, die in dieser Zeit an der Spitze der Würzburger Haupthütte standen. „Aus den Quellen geht hervor, dass Würzburg ab 1515 Standort einer überregional bedeutenden Haupthütte war und damit ein Gerichtsort innerhalb des Straßburger Hüttenverbandes“, erklärt Bürger.
Die weitere Suche in Würzburger Archiven brachte die Bestätigung: Dort entdeckte der Kunsthistoriker die Bestallungsurkunden führender Meister. „Die Quellen wiederum belegen, dass in der hiesigen Bauhütte landesherrliches und Dombauwesen vereint waren. Die wohl wichtigste Figur neben dem bekannten Meister Hans Bock war damals ein Meister namens Martin Knoch beziehungsweise auch Merten Knochen. Er hatte offenbar das Amt des Obersten Landes- und Dombaumeisters inne. Das hatte die Forschung bisher nicht auf dem Schirm “, sagt er.
Nachwuchsförderung ist wesentliches Ziel
Forschungen zu den komplexen Phänomenen der Baukultur des Spätmittelalters mit Hilfe des Netzwerkes vertiefen, bisher separierte Analysen auf Teilgebieten zusammenführen und übergreifend behandeln und dabei viele Wissenschaftsdisziplinen einbinden – von der Medien- über die Wirtschafts- und Rechtsgeschichte bis zur Sprachwissenschaft: Das ist nur ein Ziel des neuen Netzwerks.
Ähnlich wichtig ist den beiden Verantwortlichen aus Würzburg und Dresden die damit verbundene Nachwuchsförderung. Schließlich gebe es derzeit zu wenige Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler in diesem objekt- und quellenreichen Forschungsgebiet. An dem Netzwerk seien deshalb auch Studierende sowie Doktorandinnen und Doktoranden beteiligt. Ihnen soll auf diesem Weg der Einstieg in ein „üppiges und mitunter etwas verqueres“ Forschungsfeld ermöglicht werden – ohne die Umwege, die manch etablierter Forscher in der Vergangenheit machen musste, weil es ihm an einem roten Faden mangelte.
Kontakt
Prof. Dr. Stefan Bürger, Lehrstuhl für Neuere und Neueste Kunstgeschichte, T: +49 931 31-84650, stefan.buerger@uni-wuerzburg.de
Weitere Bilder
Die Albrechtsburg in Meißen ist eines der bekanntesten spätgotischen Architekturdenkmäler und gilt als der erste Schlossbau Deutschlands. Auch sie haben die Mitglieder des Netzwerks besichtigt. (Bild: Stefan Bürger)
Von Gunnar Bartsch