Auf Spurensuche im Martin von Wagner Museum: Deutsches Zentrum Kulturgutverluste bewilligt erstmals Projekt für bayerische Universitätssammlung
25.06.2019Gibt es im Martin von Wagner Museum der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) Gemälde, die in der NS-Zeit unrechtmäßig erworben wurden? Ein neues Projekt der Museologie geht diese aktuelle Forschungsfrage an und bezieht Studierende des Studiengangs „Sammlungen-Provenienz-kulturelles Erbe“ ein.
Immer wieder werden in Museen Objekte ermittelt, die zwischen 1933 und 1945 ihren ehemaligen Eigentümern unter Zwang abgenommen wurden. Die Erforschung der ‚Biografie‘ dieser Objekte, die sog. Provenienzforschung, zielt darauf ab, die Geschichte von Kunst- und Kulturgütern aufzuklären. Sobald sich Verdachtsfälle ergeben, soll eine faire und gerechte Lösung mit den Nachkommen der früheren Eigentümer gesucht werden. Das betonte Bernd Sibler, Bayerischer Staatsminister für Wissenschaft und Kunst, anlässlich des ersten Tags der Provenienzforschung: „Die Erforschung der Erwerbsgeschichte zählt zu den wichtigen Aufgaben unserer Museen im Freistaat. Restitutionsforderungen wollen wir umfassend nachgehen und aufklären.“ (Pressemitteilung Nr. 75 vom 10.4.2019)
Das nun angelaufene Forschungsprojekt der Professur für Museologie der JMU wird – neben einem Eigenanteil von Philosophischer Fakultät und JMU – finanziell größtenteils durch das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg getragen. Nach dessen Aussage handelt es sich um ein Projekt mit „Leuchtturmcharakter“, weil erstmals eine universitäre Sammlung in Bayern daraufhin erforscht wird, ob sich NS-Raubkunst in ihrem Besitz befindet.
Einer der Würzburger Verdachtsfälle ist ein Tragaltar aus dem 16. Jahrhundert. Das kleine Triptychon mit Reliquie wurde 1939 von der Kunsthandlung Sonnen erworben. Der Inhaber dieser Kunsthandlung übernahm das Geschäft 1937 von den jüdischen Geschwistern Ernestine und Sigmund Seligsberger, denen vom NS-Regime der Handel mit Kunstgegenständen verboten worden war. Ernestine Seligsberger starb 1939 in einem Würzburger Pflegeheim, Sigmund floh mit seiner Frau Sara und einem Sohn über Berlin in die Niederlande, von wo aus sie deportiert und ermordet wurden. Ein weiterer Sohn, Leo Seligsberger, war geistig behindert und starb mit nur 20 Jahren in einer österreichischen Pflegeeinrichtung. Ob das genannte Altarbild noch aus dem Besitz der Familie Seligsberger stammt, gilt es nun zu ermitteln.
Das Projekt unter Leitung von Museologie-Professor Guido Fackler hat eine Laufzeit von zwei Jahren. Dabei arbeitet die wissenschaftliche Mitarbeiterin Nora Halfbrodt auch die Geschichte der Kunsthandlung und des Museums auf, worüber sich Prof. Dr. Damian Dombrowski, Direktor der Neueren Abteilung des Unimuseums, besonders freut: „Was im Martin von Wagner Museum während der Naziherrschaft passierte, ist bisher nicht näher beleuchtet worden. Aber gerade einer Würzburger Sammlung muss es ein Herzensanliegen sein zu klären, ob mit der Ankaufpolitik dieser Zeit einer Würzburger Familie möglicherweise schweres Unrecht zugefügt wurde.“ Nicht zuletzt profitieren die Studierenden des von den Fächern Geschichte, Kunstgeschichte und Museologie gemeinsam betriebenen Masterstudiengangs „Sammlungen – Provenienz – Kulturelles Erbe“, dem deutschlandweit ersten seiner Art, von diesem Forschungsprojekt: durch gemeinsame Übungen, Lehrprojekte und eventuelle Abschlussarbeiten.
Kontakt: Prof. Dr. Guido Fackler guido.fackler@uni-wuerzburg.de , Prof. Dr. Damian Dombrowski damian.dombrowski@uni-wuerzburg.de , Nora Halfbrodt MLitt nora.halfbrodt@uni-wuerzburg.de ; beil. Aufnahme (privat) zur rechtefreien Verwendung freigegeben.