Der lange Arm des Fürsten von Ipf
05/01/2007Umzug von der Hallstatt in die Latènezeit: Spannende Fragen an der Schwarzach entlang (aus: "Bayerische Archäologie" 2/2007, S. 14f.)
Knapp 100 Kilometer sind es vom mittelfränkischen Thalmässing südwestwärts ins württembergische Bopfingen, wo am Rande des Nördlinger Rieses der Ipf aufragt: ein beeindruckender Berg des Weißen Jura mit gewaltigem Plateau, 668 Meter hoch. Dort vermuten Archäologen einen imposanten keltischen Fürstensitz. Und während Wissenschaftler der Uni Frankfurt nach Hinweisen darauf graben, sucht Markus Schußmann beim fränkischen Thalmässing nach weiteren Spuren dieses Fürstensitzes. Denn, so hat es den Anschein: Bis hierhin reichte der Einfluss des Ipfer Fürsten!
Das Ganze gehört zu einem Schwerpunktprojekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), das sich mit der Verbreitung keltischer Fürstensitze befasst. In Bayern ist ein solcher zwar bislang nicht entdeckt, jedoch sind die Strahlkraft des entfernten Zentrums sowie die Änderungen an den Siedlungsstrukturen hierzulande nicht weniger faszinierend. Markus Schußmann leitet die Grabungen bei Thalmässing, die zu dem Teilprojekt gehören, das die DFG dem früheren Würzburger und jetzigen Berliner Professor Wolfram Schier überantwortet hat. Heuer im Frühjahr ist bereits auf der Göllersreuther Platte gegraben worden, Ende Juli folgt nun der Hintere Berg gleich nebenan.
Auf der Göllersreuther Platte, einem langgezogenem Hügel am Zusammenfluss von Thalach und Schwarzach, lässt sich eine aufregende Entwicklung verfolgen: Während der Hallstattzeit hat hier auf einer 0,6 Hektar großen Fläche eine Sippe, bestehend aus konstant 17 bis 19 Personen, gesiedelt. „Wir wissen das so genau, weil das dazugehörige Gräberfeld unten am Berg bei Landersdorf komplett ausgegraben ist.“, sagt Markus Schußmann. Gegen Ende der Hallstattzeit wird die mit einer Mauer umwehrte Höhensiedlung aufgegeben, der Hof zieht hinunter an den talabgewandten, schwer einsichtigen Hang – und siedelt dort in alter Stärke in die Latènezeit hinein... Warum?
Die Suche nach der Antwort beginnt mit einem Blick auf die Fundkarte, und zwar ausgehend von jenem Ort 100 Kilometer weiter westlich: Rund um den Ipf – bis hinüber an die Schwarzach – findet sich die sogenannte Ostalb-Keramik, je näher am Fürstensitz, desto dichter. Und just als diese durch Drehscheibenkeramik, die ein hohes soziales Niveau im Strahlbereich eines Fürstensitzes voraussetzt, ersetzt wird und sich weiter nach Osten verbreitet, zieht der Herr von der Göllersreuther Platte aus seiner Burg aus... Und nicht nur der, im südlichen Mittelfranken scheint es überhaupt keine latènezeitliche Burg mehr zu geben – während östlich der Schwarzach, in der heutigen Oberpfalz, auch in der Latènezeit die Herren weiter auf den Burgen hocken. Rund um den Ipf auch...
„Es scheint so“, folgert Schussmann, „Dass hier die Führungsschicht gezwungen wurde, ihre Burgen zu verlassen, als der Fürstensitz von Ipf seinen Einfluss hierher ausdehnte. Es gibt keinen Belagerungskrieg, die Leute wurden nicht massakriert, Waffenfunde zeigen, dass sie auch weiterhin wehrhaft blieben – aber sie mussten ihre Höhensiedlungen aufgeben.“
Eine andere Frage ist, warum auf der Göllersreuther Platte eine Fläche von 0,6 Hektar ummauert ist, aber nur ein minimaler Teil dieser Fläche im Westen bebaut war. Zum einem könnte es laut Markus Schußmann so gewesen sein, dass das Areal als Refugium gedient hat für eine abhängige Bevölkerung rund um die Göllersreuther Platte; denn diese muss es wohl gegeben haben, ohne sie wäre die 1,20 Meter breite und bis zu drei Meter hohe Mauer kaum zu bauen gewesen; und dass dort oben eine gewisse Elitesippe herrschte, zeigen wiederum Funde von einem Pferdegeschirr und Pferdeknochen. „Und das Highlight sind zwei medizinische Instrumente, die zu den ältesten aus der keltischen Zeit gehören: ein Skalpell aus der Höhensiedlung und eine Trepanationssäge von der späteren Sieldung unten“, so Markus Schußmann.
Zum anderen dürfte diese Mauer aber alleine schon ein weithin sichtbares Machtsymbol dargestellt haben. Die vermuteten, dazugehörigen Siedlungen sind bisher noch nicht entdeckt, weil hier im unmittelbaren Umfeld auch noch nicht allzuviel gegraben wurde.
Diverse Grabungen aus dem 20.Jahrhundert gibt es das Schwarzachtal entlang. Die Aktuellsten verdankt die Archäologie der ICE-Trasse von München nach Nürnberg. Und deshalb kennt man in dieser Gegend diverse Herrenhöfe, von Palisaden umgebene Gehöfte und offene Siedlungen. Es ist eine der wichtigsten Durchgangsregionen vom Donauraum nach Franken – damals wie heute. In Schwarzachtal kommt man, wenn man auf der A9 Richtung Nürnberg den Kindinger Berg hinabrollt. Für das Schwarzachtal ist die älteste in Mitteleuropa nachgewiesene Kunststraße belegt: eine Schotterpiste von der Thalacheinmüngung bis hinab nach Enkering, wo eine weitere Straße ins Anlauertal abzweigt (s. Artikel „A9 der Hallstatt - /Frühlatènezeit“ auf Seite 16).
„Vielleicht war diese Verkehrsanbindung auch ein Grund dafür, dass der Fürstensitz von Ipf bestrebt war, seinen Machtbereich hierher auszudehnen“, mutmaßt Schußmann. Spannend nun ist, dass der Bau auf der Göllersreuther Platte die gleiche Palisaden-Graben-Umwehrung mit Wehrgang aufweist wie ein Hof bei Enkering in seiner jüngsten Phase. Ob es hier Zusammenhänge gibt, werden weitere Forschungen ergeben. Möglicherweise ist der Enkeringer Hof, weil er nur ein verhältnismäßig einfaches und kleines Gebäude inmitten der Fläche aufweist, ein Handels-, Stapel- oder Umschlagsplatz am Verkehrsknotenpunkt bei Enkering gewesen.
Nächstes Projekt ist der Hintere Berg. Gleich gegenüber der Göllersreuther Platte, kennt man hier eine Befestigung, die vom ausgehenden Neolithikum bis zur späten Urnenfelderzeit reicht, die erstaunlicherweise ebenfalls genau 0,6 Hektar Fläche hat – und die beim Übergang in die Hallstattzeit abbricht... Während etwas später drüben auf der Göllersreuther Platte die Besieldung einsetzt. „Hat man hier vielleicht die Vorgängersiedlung?“ fragt sich Markus Schußmann. Von Ende Juli bis Ende August werden sie versuchen, das herauszufinden: Chefausgräber Schußmann, Archäologie-Studenten aus Würzburg und Helfer der Natrurhistorischen Gesellschaft Nürnberg.