Jungfernhöhle bei Tiefenellern
Jungfernhöhle bei Tiefenellern, Lkr. Bamberg
Die Ausgrabung der Jungfernhöhle 1952
Die in den Jahre 1952-54 unter Leitung von Otto Kunkel durch Laien des Historischen Vereins Bamberg vollständig ausgeräumte Jungfernhöhle galt lange Zeit als Paradebeispiel einer modernen Ausgrabung in der frühen Nachkriegszeit. Bereits drei Jahre nach Abschluss der Arbeiten erschien die archäologische Endpublikation, die durch naturwissenschaftliche Beiträge zu Anthropologie, Bodenkunde und Phosphat-Analysen ergänzt wird. Zwischen den Sedimenten des die Höhle ausfüllenden Schuttkegels wurden die dislozierten Skelettreste von mindestens 41 menschlichen Individuen gefunden, vergesellschaftet mit Gefäßscherben aus dem Frühneolithikum. Gemäß Kunkels Darstellung, der Höhlenaushub sei vollständig gesiebt worden, ging dessen Interpretation und auch die der Neubearbeitung des Knochenmaterials durch J. Orschiedt von der Prämisse einer Vollständigkeit der 1952 geborgenen Funde aus. Die Deutung des Höhlebefundes reichte von der Menschenopfer- und Kannibalismus-Theorie O. Kunkels (1955, 1958) bis zur Interpretation der dort eingebrachten Skelettreste als Sekundärbestattungen einer linearbandkeramischen Siedlungsgemeinschaf durch H. Peter-Röcher (1994) und J. Orschiedt (2002).
Nachuntersuchungen am Vorplatz der Jungfernhöhle 2008 und 2009
Im Herbst 2008 und im Frühjahr 2009 wurde der Vorplatz der Jungfernhöhle im Rahmen gemeinsamer Feldforschungspraktika der Universitäten Würzburg und Bamberg untersucht (Abb. 1). Ausgehend von geomagnetischen Flächenmessungen mit einem Gradiometer wurden mehrere Sondierungsschnitte angelegt (Abb. 2). Es bestand die Hoffnung auf Befunde, welche neue Erkenntnisse zu den Praktiken und Motiven der Deponierung von menschlichen Körpern bzw. Körperteilen in der Höhle preisgeben könnten. Daneben sollte der Abraum der Ausgrabung von 1952 lokalisiert und durchsucht werden.
Im Vorfeld der Jungfernhöhle erwies sich jedoch der ursprüngliche holozäne Bodenhorizont als „gekappte“ Parabraunerde, die offenbar bereits im 5. Jahrtausend v.Chr. durch tiefgreifende Erosionsprozesse abgetragen worden war. Obwohl der neolithische Begehungshorizont bereits verschwunden ist, fanden sich Hinweise auf Siedlungstätigkeit im Jungneolithikum. Von dem unweit des Höhleneingangs deponierten Abraum der Altgrabung wurden ca. 10 m3 Erd- und Steinmaterial (ca. 8 %) untersucht (Abb. 3). Überraschender Weise wurde aus dem Höhlensediment noch eine große Menge an Fundmaterial geborgen. Hierzu zählen 1344 Knochen (darunter mindestens 200 Menschenknochen), 821 Keramikscherben (ca. 4 kg) und 11 Silexartefakte (Abb. 4). Bemerkenswert sind die Funde von sieben menschlichen Schneidezähnen. Denn Schneidezähne fehlen, glaubt man dem alten Grabungsbericht, im Fundmaterial so auffällig, dass O. Kunkel die Gründe hierfür in speziellen Opferpraktiken suchte.
Das Ergebnis der neuen Untersuchung liefert ein wichtiges Korrektiv für die Einschätzung der frühen Forschungen zur Jungfernhöhle bei Tiefenellern. Entgegen der Kunkelschen Prämisse einer prinzipiellen Vollständigkeit des Fundinventars, muss der bekannte Fundbestand als selektiv und unvollständig gelten. Eine fundierte wissenschaftliche Neubewertung würde eine akribische Untersuchung des ursprünglichen Höhlenaushubs erfordern. Die bislang durchgeführten 14C-Datierungen lassen mindestens drei Einbringungshorizonte von menschlichen Körpern bzw. deren Teile erkennen, die sich über das Spätmesolithikum, das Frühneolithikum und das Jung-/Spätneolithikum erstrecken. Schon deshalb ist anzunehmen, dass die Niederlegung menschlicher Überreste in der sagenumwobenen Jungfernhöhle in verschiedenen Epochen auch unterschiedlichen Motiven folgte.
Text: Timo Seregély, Frank Falkenstein
Mitarbeiter:
Dr. Timo Seregély, Uni Bamberg
Ansprechpartner:
Prof. Dr. Frank Falkenstein
Lehrstuhl für Vor- und Frühgeschichtliche Archäologie
Institut für Altertumswissenschaften
Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Residenzplatz 2, Tor A
D-97070 Würzburg
Telefon: 0931-31 2800
Prof. Dr. Frank Falkenstein
Dr. Timo Seregély
Professur für Ur- und Frühgeschichtliche Archäologie
Otto-Friedrich-Universität Bamberg
Am Kranen 14
D-96045 Bamberg
Telefon: 0951-863 2414
E-Mail: Dr. Timo Seregély
Das Projekt „Die kultische Nutzung von ‚naturheiligen’ Plätzen auf der Nördlichen Frankenalb in der Urgeschichte“ wird gefördert von der Oberfrankenstiftung.
Literatur:
Falkenstein, F., Felstürme und Schachthöhlen. Zur kultischen Nutzung naturheiliger Plätze auf der Fränkischen Alb. In: F. Falkenstein (Hrsg.), Hohler Stein, Rothensteine und Jungfernhöhle. Archäologische Forschungen zur prähistorischen Nutzung naturheiliger Plätze auf der Nördlichen Frankenalb (Scheinfeld 2012) 2-21.
Kunkel, O., Die Jungfernhöhle bei Tiefenellern. Eine neolithische Kultstätte auf dem fränkischen Jura bei Bamberg. Münchener Beitr. Vor- u. Frühgesch. 5 (1955).
Kunkel, O., Die Jungfernhöhle, eine neolithische Kultstätte in Oberfranken. Neue Ausgrabungen in Deutschland 1958, 54-67.
Orschiedt, J., Die Jungfernhöhle - eine Neuinterpretation. In: B. Mühldorfer (Hrsg.), Kulthöhlen. Funde-Deutungen-Fakten (Nürnberg 2002) 93—112.
Peter-Röcher, J., Kannibalismus in der prähistorischen Forschung. Studien zu einer paradigmatischen Deutung und ihren Grundlagen. UPA 20 (Bonn 1994).
Peter-Röcher, H., Ritual - Opfer - Totenkult: Zur Kontroverse um die nacheiszeitliche Höhlennutzung. In: C. Metzner-Nebelsick (Hrsg.), Rituale in der Vorgeschichte, Antike und Gegenwart (Rahden/Westf. 2003) 85—97.
Seregély, T, Neolithische Siedlungen und vergessene Funde. Neues zur Jungfernhöhle bei Tiefenellern. In: F. Falkenstein (Hrsg.), Hohler Stein, Rothensteine und Jungfernhöhle. Archäologische Forschungen zur prähistorischen Nutzung naturheiliger Plätze auf der Nördlichen Frankenalb (Scheinfeld 2012) 64-73.