DFG-Forschungsprojekt "Räumliche Beziehungen und Strategien der Raumnutzung in einer peripher gelegenen Siedlungskammer an der oberen Donau während der älteren bis frühen mittleren LBK."
Die Erfassung der vielschichtigen räumlichen Beziehungen und Strategien der Raumnutzung im Spannungsfeld zwischen natürlichen Gegebenheiten einerseits und ökonomischen, sozialen und kulturellen Bedingungen einer prähistorischen Gesellschaft andererseits ist das vorrangige Ziel des Projekts. Im Fokus steht dabei die Zeit der festen Etablierung und der ersten Boomphase bäuerlich wirtschaftender Gemeinschaften in Süddeutschland während der „Linienbandkeramischen Kultur“ (LBK) in der zweiten Hälfte des 6. Jts. v. Chr. Grundvoraussetzung ist eine exzellente Quellenlage sowohl für archäologische als auch für naturwissenschaftliche Untersuchungen, was beides im Arbeitsgebiet gegeben ist, einer kleinen und peripher gelegenen Siedlungskammer im Umfeld von Höchstädt a.d. Donau (Abb. 1). Die abgesonderte Lage des Siedlungsraums lässt dabei erwarten, dass sich die Systeme der Raumnutzung weitgehend ungestört von Nachbarn entfalten konnten und daher besonders klar zu erkennen sind. Analysiert werden derartige Muster auf ganz unterschiedlichen Ebenen von Akteuren, angefangen von Individuen über einzelne Haushalte bis hin zu Dörfern und der gesamten Siedlungskammer. Erreichbar sind die genannten Ziele durch einen sorgfältig abgestimmten interdisziplinären Forschungsansatz unter Ausschöpfung aller zugänglichen Quellenarchive, sodass ein örtlich wie zeitlich hoch aufgelöstes und detailliertes Bild der Lebensverhältnisse der damaligen Menschen gezeichnet werden kann.
Ausgangspunkt
Die Linienbandkeramische Kultur (LBK) gilt in Mitteleuropa als ungewöhnlich intensiv erforschte Kulturerscheinung. Die besondere Aufmerksamkeit, welche der LBK entgegengebracht wird, beruht hauptsächlich auf zwei Ursachen: Zum einen handelt es sich um die erste flächig verbreitete und voll ausgebildete Bauernkultur dieses Gebiets, sodass sie einen der wichtigsten Wendepunkte in der hiesigen Geschichte darstellt. Zum anderen wird dieses wissenschaftliche Interesse durch die verhältnismäßig gute kulturspezifische Überlieferung genährt. Es stehen somit reiche Quellen für Vergleichszwecke zur Verfügung, was – gepaart mit der hervorragenden zeitlichen Gliederungsmöglichkeit anhand der Keramik – ungewöhnlich detaillierte Interpretationen ermöglicht. Tatsächlich ist das wissenschaftliche Potenzial dieses Datenbestands bisher aber nur ansatzweise ausgeschöpft worden.
Trotz ihres enormen Verbreitungsgebiets und ihrer mindestens 500-jährigen Dauer ist die LBK gekennzeichnet durch eine auf den ersten Blick erstaunliche Einheitlichkeit der materiellen Hinterlassenschaften. Mutmaßlich als Folge hiervon sind drei Tendenzen in der Forschungsgeschichte abzuleiten: Erstens wurden Vergleiche oftmals über sehr große räumliche und zeitliche Distanzen hinweg vorgenommen und zweitens festzustellende Unterschiede hauptsächlich auf ihre chronologische Aussagekraft hin untersucht. Drittens konzentrierte sich die Forschung auf wenige, dafür aber besonders eingehend untersuchte Fundregionen, die zumindest implizit oft als repräsentativ für die gesamte LBK betrachtet wurden. Üblicherweise lag der Fokus somit auf großen Plätzen in dicht belegten Siedlungszentren, während kleine oder peripher gelegene Siedlungen beziehungsweise Siedlungsräume kaum Gegenstand intensiver Erforschung waren. Entgegen dieser monolithischen Betrachtungsweise der LBK setzt sich in jüngerer Zeit aber immer stärker die Erkenntnis durch, dass tief greifende und vielschichtige regionale Unterschiede bestanden, gerade auch in sozialer und ideologischer Hinsicht. Tatsächlich durchschneiden kulturelle und soziale Grenzen sogar landschaftlich einheitliche Siedlungsregionen und es deutet sich beispielsweise allein entlang der oberen Donau schon die Existenz mehrerer Regionalgruppen an. Als Grundvoraussetzung für verallgemeinernde Analysen der LBK ist es somit nötig, räumlich und zeitlich hoch aufgelöste Informationen zu einer Reihe von Schlüsselregionen zu generieren, die nach Möglichkeit das gesamte Spektrum der Siedlungsarten und Lebensräume innerhalb der LBK abdecken. Ein weiteres Problem besteht darin, dass zwar eine große Zahl von hervorragenden Einzeluntersuchungen diverser Fachrichtungen durchgeführt wurden, eine Integration dieser Ergebnisse zu einem regionalen Gesamtbild aber oftmals aussteht.
rot umrandet: Flächen mit Böden aus Löss (Kartengrundlage: www.bis.bayern.de)
schwarz umrandet: Grenzen des engeren Arbeitsgebiets des Projekts (10*10 km)
rote Kreise: teilergrabene linienbandkeramische Fundstellen
Siedlungen:
1. Steinheim-“Wickenpoint“ (D-7-7429-0211)
2. Deisenhofen-„Kiesäcker“ (M/ZIII-2006-0003/002/1)
3. Lutzingen-“Kohlplatte“ (D-7-7329-0421)
4. Oberglauheim-“Halde/Rotfeld“ (M/ZIII-2006- 0003/002/18-21)
5. Weilheim-“Biber/Schleichenacker“ (D-7-7329-0439)
Sonderfunktionsplatz:
6. Unterfinningen-“Osterstein“ (D-7-7329-0075)
orange Kreise: sonstige linienbandkeramische Fundstellen
gelbe Sterne: für die Erstellung von Pollenprofilen geeignete Sedimente
7. "Oberes Ried" bei Kloster Mödingen
8. "Dattenhauser Ried" bei Ziertheim (außerhalb der kartierten Fläche)
Fragestellung und Ziele
Das Projekt setzt an den skizzierten Punkten an, um ein tieferes Verständnis speziell für das kulturelle System der LBK an der oberen Donau zu erreichen. Den Ausgangspunkt bildet das engere Arbeitsgebiet, eine peripher gelegene und räumlich klar beschränkte Siedlungskammer bei Höchstädt a.d. Donau (Abb. 2). Dort liegen fünf jeweils teilergrabene Siedlungen, die alle – bei einer insgesamt kurzen Laufzeit – etwa zeitgleich zueinander während der älteren bis frühen mittleren LBK bestanden (Abb. 3). Es handelt sich um eine alt gegrabene Siedlung bei Lutzingen, drei modern untersuchte Fundplätze entlang einer Wasserleitungstrasse sowie die ebenfalls modern ergrabene Siedlung Steinheim-„Wickenpoint“ mit einem Erdwerk und zwei räumlich getrennten Bestattungsplätzen mit insgesamt 55 Individuen. Darüber hinaus befinden sich im Arbeitsgebiet noch mindestens eine weitere, durch Lesefunde bezeugte Siedlung sowie mit dem Osterstein bei Unterfinningen ein ebenfalls kontemporärer Sonderfunktionsplatz.
Durch ein bislang in dieser Art in der LBK-Forschung einmaliges, intensives Zusammenwirken von Archäologie, Pollenanalyse, Anthropologie, Archäozoologie, Isotopenanalytik und Mineralogie in einem Kleinraum soll ein möglichst vollständiges Bild der natürlichen Umweltbedingungen, der ökonomischen Aktivitäten samt ihrer räumlichen Strukturierung und der Rückwirkungen auf die Umwelt gewonnen werden. Die reiche natürliche Gliederung der Landschaft einerseits sowie die relativ geringe Besiedlung in den benachbarten Zonen andererseits bieten dabei eine hervorragende Ausgangsbasis. Die Ergebnisse werden mit den archäologischen Daten verknüpft, sodass neben den wirtschaftlichen Gesichtspunkten auch die sozialen und kulturellen Belange berücksichtigt werden können. Letztendlich sollen so die räumlichen Strukturen und Abhängigkeiten der verschiedenen Lebensbereiche auf unterschiedlichen Skalen und Organisationsebenen kenntlich werden.
Arbeitsschritte
Hauptziel des gesamten Projekts ist es, räumliche Beziehungen und Strategien der Raumnutzung in ökonomischer, sozialer und kultureller Art während der ersten Hochphase bäuerlicher Besiedlung in einer peripheren Siedlungskammer nahe Höchstädt a.d. Donau zu erschließen. Wichtige Arbeitsschritte auf dem Weg zu diesem Ziel sind:
- Die archäologische Bearbeitung der Befunde und des Fundmaterials der älteren bis frühen mittleren LBK der fünf teilergrabenen Siedlungsplätzen Steinheim-„Wickenpoint“, Deisenhofen-„Kiesäcker“, Weilheim-„Biber/Schleichenacker“, Oberglauheim-„Halde/Rotenfeld“ und Lutzingen-„Kohlplatte
- Untersuchung der zugänglichen, nicht ergrabenen Siedlungsteile dieser Fundstellen durch magnetometrische Prospektion, Auswertung von Luftbildern und intensiven Survey
- Rekonstruktion der Größen, Laufzeiten und Hauszahlen dieser Siedlungen
- Untersuchungen zum Siedlungsnetz innerhalb der Siedlungskammer (engeres Arbeitsgebiet 10*10 km) mit Aufnahme aller weiteren bekannten LBK-Materialien und extensivem Survey
- Studien zur gesamten LBK-Siedlungszone zwischen Gundelfingen und Erlingshofen mit Durchsicht aller bekannten LBK-Materialien, Aufnahme wichtiger Komplexe der untersuchten Zeitscheibe und Bestimmung regionaltypischer Merkmale
- Typologische und statistische Vergleiche mit umliegenden Siedlungsregionen zur Gewichtung der stilistischen, ideologischen und sozialen Beziehungen
- Bestimmung der Herkunft der Gesteinsrohmaterialien zur Analyse der Nutzung regionaler Ressourcen sowie von Tauschbeziehungen
- Morphologische Untersuchung und Isotopenanalysen an den menschlichen Skeletten zur Gewinnung von Informationen über Alter, Geschlecht, körperliche Verfassung, Verwandtschaftsbeziehungen, Mobilität und Ernährung
- Morphologische Untersuchung und Isotopenanalysen an den tierischen Überresten zur Bestimmung von Herdenstruktur, Nutzungszielen, Jagdstrategie und räumlicher Organisation von Tierhaltung und Jagd
- Pollenanalytische Untersuchung eines Profils aus der Lösszone in direkter Nachbarschaft zum engeren Arbeitsgebiet und Prospektion nach geeigneten Sedimenten in den nördlich und südlich anschließenden Landschaften (Schwäbische Alb und Donauried/Riß-Lech-Platte) zur Bestimmung der natürlichen Voraussetzungen der Besiedlung, der Art und des Umfangs der Auflichtung und der räumlichen Organisation von Pflanzenanbau und Weidenutzung
- Absolutchronologische Bestimmung der untersuchten Zeitscheibe durch hochpräzise 14C-Daten
Weitere, sich als notwendig zur Klärung von Detailfragen herausstellende Untersuchungen sowie die Gesamtauswertung mit der kritischen Abwägung der Ergebnisse sind Aufgabe der zweiten, noch nicht beantragten Projektphase. In der Synthese werden die ökonomischen, sozialen, kulturellen und ideologischen Beziehungen auf verschiedenen Ebenen mit ihren räumlichen Strukturen und Interferenzen dargestellt werden.
Text: Joachim Pechtl
Ansprechpartner:
Joachim Pechtl, M.A.
Lehrstuhl für Vor- und Frühgeschichtliche Archäologie
Institut für Altertumswissenschaften
Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Residenzplatz 2, Tor A
97070 Würzburg
joachim.pechtl@uni-wuerzburg.de
Mitarbeiter:
Prof. Dr. Frank Falkenstein
Dr. des. Thomas Link
Geneviève Honeck M.A.
Marcel Honeck M.A
Kooperationspartner:
Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege
Archäologische Staatssammlung München
Prof. Dr. Gisela Grupe, Arbeitsgruppe Anthropologie am Biozentrum der LMU München / Bayerische Staatssammlung für Anthropologie und Paläoanatomie
Prof. Dr. Joris Peters, Institut für Paläoanatomie, Domestikationsforschung und Geschichte der Tiermedizin der LMU München / Bayerische Staatssammlung für Anthropologie und Paläoanatomie
Dr. Michael Peters, Arbeitsgruppe für Vegetationsgeschichte am Institut für Vor- und Frühgeschichtliche Archäologie und Provinzialrömische Archäologie der LMU München
Prof. (apl.) Dr. Ulrich Schüßler, Lehrstuhl für Geodynamik und Geomaterialforschung der Universität Würzburg
Förderer:
Deutsche Forschungsgemeinschaft
Literatur:
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N. Nieszery, Linearbandkeramische Gräberfelder in Bayern. Internationale Archäologie 16 (Espelkamp 1995).
J. Pechtl, Vom Euphrat zum Lech – Zur Ausbreitung der ersten Bauernkulturen. In: U. Gruber/G. Mahnkopf/D. Meixner/J. Pechtl/ L. Steguweit, Steinzeit im Landkreis Augsburg. Jäger, Sammler, Ackerbauern. Archäologie in Bayerisch-Schwaben 2 (Friedberg 2008) 22-37.
J. Pechtl, Überlegungen zur Historie der ältesten Linienbandkeramik (ÄLBK) im südlichen Bayern. In: M. Chytráček/H. Gruber/J. Michálek/R. Sandner/K. Schmotz (Hrsg.), Fines Transire 18. Archäologische Arbeitsgemeinschaft Ostbayern / West- und Südböhmen / Oberösterreich. 18. Treffen. 25. bis 28. Juni 2008 in Manching (Rahden/Westf. 2009) 79-115.
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