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  • Tagung "Common Grounds"
Philosophische Fakultät

„Sprachwissenschaft Plus“

12/19/2023

Anfang Dezember fand die internationale Tagung „Angewandte und anwendbare Linguistik. Eine Standortbestimmung” im Schelling-Forum statt: ein Interview zu den Ergebnissen.

Statt einer Aneinanderreihung von Vorträgen setzte die Veranstaltung auf aktive Diskussion im offenen Setting.
Statt einer Aneinanderreihung von Vorträgen setzte die Veranstaltung auf aktive Diskussion im offenen Setting. (Image: Matthias Schulz / Uni Würzburg)

Matthias Schulz, Professor für deutsche Sprachwissenschaft an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) und seine Mitarbeiterin Dr. Miriam Schwebler hatten die Tagung organisiert.

Die Tagung trug den Untertitel: Eine Standortbestimmung. Ist eine "Standortbestimmung"  gelungen?

Miriam Schwebler: Ja, wir konnten eine umfassende Momentaufnahme herausarbeiten! Aus unserer Sicht ist es eine grundlegende Aufgabe wissenschaftlichen Arbeitens, dauerhaft über die eigenen Positionen zu reflektieren: Methoden, Forschungspraktiken, Themenzuschnitte, Kooperationen. Wenn das unterbleibt, dann entstehen für die Wissenschaft problematische "Theorie- und Ergebnisinseln", die nicht mehr überall wahrgenommen werden und Kooperationen verhindern können. In der Angewandten Linguistik ist diese Aufgabe besonders wichtig, denn es handelt sich um ein vergleichsweise junges Feld in dynamischer Entwicklung.

Wie kann man die von Ihnen angesprochene dynamische Entwicklung genauer beschreiben?

Matthias Schulz: Angewandte Sprachwissenschaft reagiert auf sprachbezogene Problemstellungen und Schwierigkeiten in der Gesellschaft. Sie erforscht diese mit etablierten und neu entwickelten Methoden und verfolgt den Anspruch, wissenschaftliche Erkenntnisse in geeigneter Form in die gesellschaftlichen Debatten einzubringen. Es ist klar, dass es dazu viele unterschiedliche Auffassungen und Ansätze gibt, was zum Beispiel die Theorie- und Methodenbildung, die Möglichkeiten der Kooperationen außerhalb der Hochschulen, die Bedingungen der Transformation von Ergebnissen, den Einsatz von Mediatorinnen und Mediatoren und nicht zuletzt die Finanzierung von Projekten und die Einwerbung von Mitteln betrifft. Letztlich hängt davon auch ab, was Angewandte Linguistik eigentlich ist.

Ihre Tagung war als Expertinnen- und Expertenrunde konzipiert. Wie lief das ab?

Miriam Schwebler: Wir wollten ein fokussiertes Gespräch erreichen und haben daher von der in den Philologien 'traditionellen' Form einer Aneinanderreihung von Vorträgen Abstand genommen. Wir haben den eingeladenen Personen vielmehr im Vorfeld Thesen geschickt und gezielt um Statements gebeten: Zu jeder These gab es zwei Statements von je 5 Minuten, eine Kommentierung zu diesen Statements – und dann die geöffnete Diskussion. Wir saßen so, dass sich alle sehen konnten. Und wir haben bewusst auf Präsentationsfolien verzichtet. Es gab also nur das gesprochene Wort. Wichtige Aspekte haben wir auf Flipcharts festgehalten, um in den Diskussionen darauf zurückgreifen zu können. Das hat aus unserer Sicht ganz hervorragend geklappt! Besonders gefreut hat uns, dass an diesem Format auch Studierende aus verschiedenen Studiengängen teilnehmen konnten und sich insbesondere Studierende aus dem Master Allgemeine und Angewandte Sprachwissenschaft aktiv in die Diskussion eingebracht haben.

Über welche Punkte sollte die Runde diskutieren?

Matthias Schulz: Wir haben drei Fokussetzungen vorgenommen: Personen, Orte und Disziplinarität. Es ging also erstens um die Frage, wer sich eigentlich als Angewandte Linguistin oder Angewandter Linguist bezeichnet oder wer so bezeichnet wird – und auf welcher Grundlage diese Zuschreibungen erfolgen. Zweitens ging es um die Frage, wo Angewandte Linguistik eigentlich stattfindet – nur an Universitäten, auch außerhalb – oder stets an Hochschulen und außerhalb von Hochschulen? Und drittens haben wir auch diskutiert, ob die Angewandte Linguistik als eine Teildisziplin der Sprachwissenschaft oder als selbständige Disziplin aufzufassen ist.

Ist das Konzept der Tagung aufgegangen?

Miriam Schwebler: Ja, auf jeden Fall! Das ungewöhnliche Diskussionsformat hat sich bewährt, denn es hat sehr fokussierte, tiefgehende, offene und konstruktive Gespräche und Befunde ermöglicht. Es waren mehrfach für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer neue und sogar überraschende Befunde und Einschätzungen erkennbar. Die Auswahl der aus unserer Sicht im Gebiet relevanten Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus unterschiedlichen Ländern, unterschiedlichen inner- und außeruniversitären Kontexten und in unterschiedlichen Qualifikationsstufen hat die Breite des Gebietes und die Vielfalt der Fragestellungen und Einschätzungen gut abgebildet.

Was nehmen Sie aus dieser Tagung nun mit?

Matthias Schulz: Es wurde deutlich, dass Angewandte Sprachwissenschaft eine „Sprachwissenschaft Plus“ ist: Sie basiert auf sprachwissenschaftlichen Erkenntnissen und nutzt sprachwissenschaftliche Methoden, geht aber sowohl in der Erforschung als auch in der Transformation der Ergebnisse deutlich darüber hinaus. Das zeigt sich auch in der disziplinären Verortung. Mit dabei war zum Beispiel auch unsere Kollegin Professorin Carina Lüke, Inhaberin des Lehrstuhls für Sprachheilpädagogik hier an der JMU, die sich auch als Angewandte Linguistin verortet. Wir sehen die Aufgabe, uns in diesem Bereich intensiver auch über traditionelle Fächergrenzen hinaus zu vernetzen.

Insgesamt bestand Einigkeit über die große Relevanz der Angewandten Linguistik – oder der „Sprachwissenschaft Plus“. Die Angewandte Sprachwissenschaft kann und sollte sich an der Entwicklung von Lösungen für gesellschaftliche Probleme beteiligen – sie muss sich dazu aber auch fachlich begründete Positionierungen außerhalb universitärer Kreise zutrauen. Dafür braucht es ein gestärktes angewandt-linguistisches Selbstvertrauen.

Es braucht aber auch ein stetiges Weiterdenken der sprachwissenschaftlichen Methoden und der prototypischen Prozessabläufe – von der Identifikation von Problemen über deren Analyse bis hin zur Entwicklung zielgruppenangemessener Angebote.

Wie geht es jetzt konkret weiter?

Miriam Schwebler: Wir haben auf der Tagung beschlossen, ein thesenartiges Positionspapier als Ergebnissicherung der Tagung zu verfassen und zu publizieren. Dieses soll dann als Diskussionsgrundlage in der Community dienen und insbesondere auch in unserer wissenschaftlichen Fachgesellschaft – der Gesellschaft für Angewandte Linguistik e. V. – diskutiert werden.

Kontakt

Professur für deutsche Sprachwissenschaft

Prof. Dr. Matthias Schulz, E-Mail: matthias.schulz@uni-wuerzburg.de

Dr. Miriam Schwebler, E-Mail: miriam.schwebler@uni-wuerzburg.de

Homepage der professur für Deutsche Sprachwissenschaft

By Pressestelle JMU

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