Forschung auf höchstem Niveau
02/27/2024Das Schneefernerhaus ist Deutschlands höchstgelegene Umweltforschungsstation. Seit diesem Jahr ist die Universität Würzburg Partner im Kreis der Forschungseinrichtungen, die sich um den Betrieb kümmern.
Bei gutem Wetter beträgt die Sicht von hier bis zu 250 Kilometer – in alle Himmelsrichtungen. Mehr als 300 Gipfel in Österreich, der Schweiz und Italien sind dann zu erkennen. Im Winter tummeln sich Skifahrer auf den präparierten Pisten, im Sommer mühen sich Wanderer und Bergsteiger über die steilen Wände – und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind jederzeit vor Ort: 2650 Meter über Meereshöhe und nur knapp unterhalb des Gipfels der Zugspitze liegt die Umweltforschungsstation Schneefernerhaus (UFS). Damit ist sie die höchstgelegene Forschungseinrichtung dieser Art in Deutschland.
Neun renommierte Forschungseinrichtungen – darunter die beiden Münchner Universitäten, die Max-Planck-Gesellschaft und das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) – haben sich gemeinsam mit dem Freistaat Bayern in einem Konsortium zusammengeschlossen und betreiben seit dem Jahr 2007 die Station. So zumindest der Stand Ende 2023. Mittlerweile muss es heißen: „Zehn renommierte Forschungseinrichtungen“, denn seit dem 1. Januar 2024 ist die Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) ebenfalls Mitglied des Konsortiums.
Austausch mit Teams renommierter Forschungseinrichtungen
„Den Anstoß für den Beitritt der JMU hat Stefan Dech gegeben“, erklärt Tobias Ullmann, Professur für Geographische Fernerkundung am Lehrstuhl für Fernerkundung der JMU. Dech ist Inhaber eines der beiden Lehrstühle, die in Kooperation mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt gemeinsam mit der JMU gegründet wurden und die heute das Earth Observation Research Cluster (EORC) der JMU bilden. Als Vertreter des DLR im Konsortialrat der Umweltforschungsstation Schneefernerhaus ist er seit Gründung 2008 mit in die Arbeiten vertraut und bei der strategischen Ausrichtung der UFS eingebunden. Damit lag die Idee auf der Hand, die Uni ebenfalls mit ins Boot zu holen.
Ullmann ist jetzt Mitglied des Science Teams im Schneefernerhaus und kümmert sich um die fachlichen Beiträge der JMU sowie um die wissenschaftliche Qualität der Forschung vor Ort. „Damit kommen wir zum einen in Kontakt mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern anderer renommierter Forschungseinrichtungen, die auf dem gleichen Gebiet arbeiten wie wir“, sagt Ullmann. Zum anderen könne er so aktuelle Trends der Höhenforschung aktiv mitgestalten.
Auch aus wissenschaftlicher Sicht bedeutet die Mitgliedschaft im Konsortium des Schneefernerhauses einen Gewinn für die Uni Würzburg. „Die Station bietet mit ihren Laborflächen, ihrer Forschungsinfrastruktur und der Betreuung durch die dortigen Mitarbeiter ein Rund-um-Paket, wie man es sonst vielleicht noch auf einem Forschungsschiff findet“, sagt Dr. Martin Wegmann, Manager des Earth Observation Research Clusters am Lehrstuhl für Fernerkundung und Organisator erster Exkursionen von Teams der Universität auf die Zugspitze.
Forschungsprojekte aus vielen Fachgebieten
Natürlich steht die Umweltforschungsstation nicht nur den Expertinnen und Experten im Bereich der Fernerkundung für ihre Projekte zur Verfügung. Im Prinzip sind sämtliche Fachbereiche der JMU eingeladen, sich mit Ideen zu melden, die sie dort untersuchen wollen. Tatsächlich liegen bereits erste Anfragen vor – beispielsweise von Teams aus der Medizin, die den Einfluss großer Höhe auf das Immunsystem erforschen wollen, aus der Astronomie, die den ungetrübten Blick ins All oberhalb der atmosphärischen Grenzschicht nutzen möchten, oder aus der Biologie.
„An der Zugspitze haben wir die Möglichkeit, in einer geringen räumlichen Distanz die Auswirkungen des Klimawandels auf Tiere und Pflanzen in unterschiedlichen Klimagradienten zu beobachten – von Garmisch-Partenkirchen aus, das auf einer Höhe von 700 Metern liegt, bis zur knapp 3.000 Meter hohen Zugspitze“, erklärt Nadja Simons, Juniorprofessorin für Angewandte Biodiversitätsforschung an der JMU.
Tatsächlich hinterlässt auch – oder gerade – in dieser Höhe der Klimawandel schon seit einigen Jahren deutliche Spuren. So hat beispielsweise die Bayerische Akademie der Wissenschaften im Jahr 2022 einem der Gletscher auf dem Zugspitzplatt, dem Südlichen Schneeferner, den Rang eines Gletschers aberkannt und ihn zum bloßen Toteis degradiert, weil von ihm nur noch Schmelzwasser abfließt. Das gleiche Schicksal wird den Nördlichen Schneeferner in den kommenden Jahren ereilen. „Die Dynamik dieser Entwicklung lässt sich an diesem Ort extrem gut beobachten“, sagt Simons.
Neue Möglichkeiten für die Lehre
Von der neuen Partnerschaft profitieren sollen auch Studierende der JMU. Nadja Simons und Martin Wegmann planen bereits die entsprechenden Exkursionen. Draußen auf dem Gletscher und entlang des Höhengradienten sollen sich dann die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit unterschiedlichen Methoden vertraut machen und lernen, wie sie wissenschaftlich korrekt Daten zu unterschiedlichen Umweltaspekten einholen. Drinnen im Labor der Umweltforschungsstation können sie anschließend diese Daten analysieren und mit historischen Daten vergleichen, die im Schneefernerhaus vorliegen.
Mit der Wissenschaft nur indirekt zu tun, hat ein weiterer Punkt, der die Partnerschaft mit der Umweltforschungsstation Schneefernerhaus für die Mitglieder des Lehrstuhls für Fernerkundung am EORC attraktiv macht: „Hier herrscht ein Klima vergleichbar mit dem in Spitzbergen – einer Inselgruppe auf halbem Weg zwischen Norwegen und dem Nordpol“, sagt Martin Wegmann. Das bedeutet: Würzburger Forschungsteams können nach einer Anfahrt, die gerade mal einen halben Tag dauert, Geräte unter Bedingungen testen, für die sie sonst eine weite Reise in Kauf nehmen müssten.
Wer jetzt selbst eine Idee für ein Forschungsprojekt am Schneefernerhaus hat: Die Koordination liegt in der Hand des Präsidialbüros der JMU; Ansprechpartnerin dort ist Dr. Nadine Janetschke (T: +49 931 31-84826, nadine.janetschke@uni-wuerzburg.de). Für den Aufenthalt am Zugspitzmassiv empfiehlt sich übrigens Kleidung, die zu unterschiedlichen Klima-Szenarien passt. So betrug die Temperatur an der Forschungsstation beispielsweise am 19. Januar minus 19,4 Grad Celsius, um dann binnen drei Tagen auf plus 1,3 Grad zu steigen.
Das Schneefernerhaus
Das Gebäude wurde in den 1930er-Jahren als Hotel und Endbahnhof der damals neuen Zahnradbahn gebaut. Nach der Eröffnung des günstiger gelegenen Sonnalpin im Jahr 1986 nahmen die Besucherzahlen jedoch immer mehr ab, sodass Anfang der 1990er-Jahre der Betrieb eingestellt werden musste. In den Folgejahren hat der Freistaat Bayern das Gebäude zu einer Umweltforschungsstation umgebaut, die 1999 in Betrieb genommen wurde.
Forschungsschwerpunkte
Die UFS ist ausgerichtet auf Fragestellungen der Entwicklung, Demonstration und des Betriebs innovativer Technologien für Klima- und Atmosphärenbeobachtung, Qualitätssicherung satellitenbasierter Daten- und Informationsprodukte, Umwelt- und Höhenmedizin und Früherkennung von Naturgefahren.
Diese interdisziplinären Forschungsansätze wurden in acht Forschungsschwerpunkte gegliedert, denen jeweils mehrere Institute angehören und die durch einen wissenschaftlichen Sprecher vertreten werden.
- Satellitenbeobachtung und Früherkennung
- Kosmische Strahlung und Radioaktivität
- Biosphäre und Geosphäre
- Umwelt- und Höhenmedizin
- Global Atmosphere Watch
- Regionales Klima und Atmosphäre
- Hydrologie
- Wolkendynamik
Kontakt
Prof. Dr. Tobias Ullmann, EORC, Lehrstuhl für Fernerkundung, T: +49 931 31-86865, tobias.ullmann@uni-wuerzburg.de
Prof. Dr. Nadja Simons, Juniorprofessur für Angewandte Biodiversitätsforschung, T: +49 931 31-80258, nadja.simons@uni-wuerzburg.de
Dr. Martin Wegmann, EORC, Lehrstuhl für Fernerkundung, T: +49 931 31-83446, martin.wegmann@uni-wuerzburg.de