Äpfel handeln. Eine Multispecies Ethnografie ländlicher Ökonomien
Das Projekt erforscht Menschen-Pflanzen-Beziehungen in der intensiv betriebenen Landwirtschaft aus Perspektive der Multispecies Studies. Am Beispiel von Apfelzucht und -anbau im Alten Land nahe Hamburg untersucht die europäisch-ethnologische Studie speziesübergreifende Interaktionen in ländlichen Ökonomien und fragt nach handlungswirksamen Vorstellungen und Wissensbeständen ‚vom Apfel‘ ebenso wie nach Formen pflanzlichen Handelns. Die Studie leistet damit einen Beitrag zur Entwicklung eines vertieften Verständnisses für die Interdependenzen von Menschen mit anderen Lebensformen, vor allem unter den Bedingungen einer globalen Klimaerwärmung und anderer, häufig unter dem Begriff des Anthropozäns gefasster ökologischer Krisen.
Zur Operationalisierung der Forschung werden die spezifischen Akteurskonstellationen, Diskurse und Praktiken von vier Handlungsfeldern im Detail untersucht: Erwerbsobstbau, Wissenschaft & Beratung, Sortenzüchtung und Sortenerhalt. Dazu gehört erstens das (habitualisierte) Wissen von Praktiker:innen im Erwerbsobstbau und die konkreten Mensch-Apfel(baum)-Interaktionen vor dem Hintergrund einer Industrialisierung, aber auch einer unter dem Begriff der „Agrarwende“ angestrebten Ökologisierung der Landwirtschaft. Zweitens begleitet das Vorhaben die kollaborative Wissensproduktion zwischen Erzeuger:innen und Forschung mit Fokus auf Maßnahmen zur Klimawandelanpassung im Obstbau: Welche Zukunftsszenarien werden entworfen, welche Technologien und neuen Multispecies-Konstellationen in Versuchsfeldern erprobt und wie gestalten Pflanzen und andere Lebensformen den Transformationsprozess mit? Drittens wird das Handlungsfeld der Sortenzüchtung untersucht mit Fragen, wie pflanzliches Leben verhandelt wird, das durch Zucht eine Inwertsetzung erfährt. Viertens wird mit Blick auf Streuobstwiesen und anderen extensiv genutzten Flächen nach alternativen Mensch-Apfel(baum)- und Multispecies-Beziehungen und divergierenden Vorstellungen von Nachhaltigkeit gefragt.
Das Projekt verbindet Konzepte der bislang weitestgehend getrennt agierenden interdisziplinären Multispecies Studies mit denen der Rural- und Agro-Food Studies und ergänzt diese mit Ansätzen aus der kulturwissenschaftlichen Arbeitskulturen-, Kulturerbe- und Zukunftsforschung. Die Forschung soll einen Beitrag zur empirisch fundierten Theoretisierung von Menschen-Pflanzen-Beziehungen in ländlichen Ökonomien leisten und somit landwirtschaftliche Transformationsprozesse aus kulturwissenschaftlicher Perspektive begleiten.
Workshop 23-24 März 2023
Approaching Plants. Studying Human-Plant Relations beyond Disciplines
Organisatorinnen:
Arnika Peselmann
Darya Tsymbalyuk
Workshopbeschreibung:
Am 23./24. März 2023 fand im Würzburger Botanischen Garten der internationale Workshop „Approaching Plants. Studying Human-Plant Relations beyond Disciplines“ statt, der im Rahmen des DFG-Projekts „Äpfel handeln. Eine Multispecies Ethnographie ländlicher Ökonomien” durchgeführt und gemeinsam von Arnika Peselmann (Würzburg) und Darya Tsymbalyuk (Oxford) organisiert wurde.
Mit dem „vegetal turn“ haben sich Forschungsinteressen in den Kultur- und Geisteswissenschaften zunehmend auch auf die Beziehungen und Interdependenzen von Menschen und Pflanzen erweitert, was Fragen nach methodischen Zugängen, aber auch nach ethischen Umgangsweisen aufwirft. Der Workshop trug diesen aktuellen Themen Rechnung: In insgesamt vier Roundtables diskutierten Künstler:innen und Wissenschaftler:innen unterschiedlicher Disziplinen zum einen die ontologische Neuperspektivierung von Pflanzen und welche Konsequenzen diese für unsere methodische Herangehensweise hat; zum anderen stand die Repräsentation von Pflanzen in wissenschaftlichen und künstlerischen Arbeiten und die Möglichkeiten, aber auch Grenzen von kritischen Storytelling-Praktiken im Fokus. Im dritten Roundtable befassten sich die Diskutant:innen mit pflanzenethischen Themen in ihrem Forschungs-alltagen, um sich in der vierten und letzten Diskussionsrunde der pflanzlichen Handlungs- und Wirkungsmacht zuzuwenden und der Frage, wie sie unsere Arbeiten strukturiert und beeinflusst.
Darüber hinaus bot ein angeleiteter Kreativworkshop die Möglichkeit, sich unmittelbar und experimentell mit Menschen-Pflanzen-Beziehungen in dem besonderen Umfeld des Würzburger Botanischen Gartens auseinanderzusetzen. Diesem vorangegangen war eine Führung durch das Tropenhaus, bei der die Mitarbeiterin des Botanischen Gartens, Emily Schweitzer-Martin, sowohl das koloniale Erbe botanischer Gärten, aber auch ihre aktuelle Bedeutung für die Nachhaltigkeitsbildung erläuterte.
Allen Mitwirkenden dieses ausgesprochen anregenden und konstruktiven Workshops sowie dem Botanischen Garten für die freundliche Gastfreundschaft ein herzliches Dankeschön!