Hethitische Forschungen
Das Projekt Hethitische Forschungen der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz (abgeschlossen 2015) diente der Bearbeitung und Veröffentlichung der vielen tausend Keilschrifttexte aus dem 2. Jahrtausend v. Chr., die bei den deutschen Ausgrabungen in der Hauptstadt des Hethiterreiches in Zentralanatolien entdeckt wurden. Mit dem Band Keilschrifttexte aus Boghazköi 70 (2015) fand die Publikation der Keilschrifttextfunde der Ausgrabungen des Deutschen Archäologischen Instituts in Boğazköy-Ḫattuša seinen vorläufigen Abschluss.
Die UNESCO hat die Bedeutung dieser Texte für die Menschheitsgeschichte dadurch gewürdigt, dass sie sie in das Memory of the World Register aufgenommen hat. Sie umfassen die wichtigsten und vielfältigsten Quellen für die politische Geschichte des mittel- und spätbronzezeitlichen Alten Orients sowie für die Sprachen, Literaturen, Kulte, Mythen, Orakelpraktiken, Gesetze etc. Anatoliens im 2. Jahrtausend v.Chr.; die in ihrem Umfang und ihrer Detailliertheit einzigartigen Quellen für kultische und therapeutische Rituale des 2. Jahrtausends v.Chr.; die beinahe einzigen Quellen für den ältestbezeugten Zweig der indogermanischen Sprachenfamilie, älter als das (griechische) Mykenische und das (indische) Vedische; die einzigen bzw. die umfangreichsten Quellen für weitere frühe, schon im 2. Jahrtausend v.Chr. ausgestorbene Sprachen wie Hattisch und Hurritisch.
Das Akademie-Projekt stellte damit ein unerläßliches Quellenmaterial für eine ganze Reihe von Wissenschaften bereit; dazu zählen verschiedene Philologien wie Altorientalistik und Ägyptologie, Alte Geschichte, Alttestamentliche Wissenschaft, Religionswissenschaft, Indogermanistik und Allgemeine Sprachwissenschaft.
Die Ergebnisse des Projekts wurden in eigenen Schriftenreihen publiziert (Keilschrifttexte aus Boghazköi, Studien zu den Boğazköy-Texten, Hethitologie Portal Mainz – Materialien).
Das 2001 eröffnete und seitdem stetig ausgebaute Hethitologie-Portal Mainz (www.hethiter.net) bietet vielfältige Recherche-Möglichkeiten, z.B. durch eine Konkordanz sämtlicher hethitischen Texte mit multiplen Abfragemöglichkeiten und Verknüpfung mit der digitalisierten Photosammlung, die bei vollem Ausbau etwa 70.000 Photos verfügbar macht. Das 'Portal' zielt insbesondere auch auf eine Zusammenführung und Vernetzung der internationalen hethitologischen Forschung - vor allem bei der Quellenedition, der Bibliographie und der Lexikographie - ab. In einem Teilprojekt geht es um die digitale dreidimensionale Erfassung und Darstellung hethitischer Keilschrifttafeln.
Das von Gernot Wilhelm geleitete Projekt unterhielt neben der mit drei Mitarbeitern besetzten Arbeitsstelle in der Akademie Mainz eine von Gerfrid Müller betreute Arbeitsstelle am Würzburger Lehrstuhl für Altorientalistik.
Staatsverträge der Hethiter
Im Rahmen des Akademie-Projekts "Hethitische Forschungen" wurde ein Projekt weitergeführt, das von 1990-1994 (Hauptmitarbeiterin: Albertine Hagenbuchner) und von 2001-2006 (Hauptmitarbeiter: Gerfrid Müller) mit DFG-Mitteln am Würzburger Lehrstuhl für Altorientalistik bearbeitet wurde. Ziel des Projekts ist eine Neuedition aller Staatsverträge der Hethiter.
Es handelt sich dabei um ca. 70 Verträge von teilweise erheblicher Länge (mehr als 200 Zeilen), die oft in mehreren Manuskripten vorliegen. Die Sprache der Texte ist das Hethitische oder das Akkadische, vereinzelt liegen auch Übersetzungen ins Ugaritische und Ägyptische vor. Die ältesten Verträge stammen aus dem ausgehenden 16., die jüngsten vom Ende des 13. Jahrhunderts v. Chr.
Die meisten Verträge wurden von hethitischen Großkönigen mit den Herrschern von abhängigen Staaten ("Vasallenverträge") geschlossen, es gibt aber auch Verträge mit gleichrangigen Partnern ("paritätische Verträge") – der bekannteste ist der Vertrag zwischen Ramses II. von Ägypten und Hattusili III von Hatti, mit dem eine längere Phase kriegerischer Auseinandersetzungen um die Herrschaft im syrischen Raum ein Ende fand.
Ein typischer Vasallenvertrag weist fünf Elemente auf:
(1) Eine Präambel, in der der vertragausstellende hethitische Großkönig sich mit Titeln und Genealogie nennt;
(2) eine historische Einleitung, in der die Beziehung zwischen dem Großkönig und dem Vasallen in historischer Perspektive dargestellt wird;
(3) die Vertragsbestimmungen, unter denen die Verpflichtung zur Loyalität gegenüber dem Großkönig die wichtigste ist. Weitere Verpflichtungen können in Tributleistung, Heeresfolge im Kriegsfall, Auslieferung von Flüchtlingen u.a.m. bestehen;
(4) die Schwurgötterliste, eine Anrufung und Nennung der Gottheiten, die über die Einhaltung des Vertrages wachen sollen;
(5) Fluch- und Segensformeln bilden den Abschluss.
Die Texte werden digital im "Hethitologie Portal" publiziert, und zwar in Umschrift und Übersetzung sowie mit einer Einleitung, die über die benutzten Handschriften, ihre Herkunft und Datierung und über den geschichtlichen Zusammenhang informiert.
Hethitische Keilschrifttexte aus Sarissa
In der hethitischen Stadt Sarissa (türk. Kuşaklı, südl. von Sivas/Türkei), die 1993–2006 unter Leitung von Prof. Andreas Müller-Karpe (Universität Marburg) ausgegraben wurde, wurden 70 hethitische Tontafeln entdeckt. Die Edition hat G. Wilhelm übernommen, der in mehreren Ausgrabungskampagnen als Grabungsphilologe "vor Ort" mitgearbeitet hat.
Die im sog. "Gebäude A" gefundenen Texte stammen alle aus dem 13. Jahrhundert v. Chr.; es handelt sich dabei vor allem um Orakeltexte und sog. "Kultinventare". Besonders wichtig sind die Fragmente des Rituals eines Frühlingsfestes, das von dem hethitischen Großkönig in der Stadt Sarissa bzw. in einem Heiligtum im Gebirge oberhalb der Stadt zu Ehren des örtlichen Gewittergottes gefeiert wurde.
Im "Tempel C", der schon um 1360 v. Chr. zerstört wurde, fanden die Ausgräber zwei sehr gut erhaltene Briefe, in denen vor allem Beobachtungen des Vogelflugs mitgeteilt werden, der bei den Hethitern (wie bei den Etruskern und Römern) als Orakeltechnik gepflegt wurde.
Ein erster Editionsband ist bereits 1997 erschienen, ein zweiter ist in Vorbereitung. Über alle Textfunde wurde in Vorberichten in den "Mitteilungen der Deutschen Orient-Gesellschaft" ausführlich berichtet.
Abgüsse von Keilschrifttafeln aus Sarissa können in einem Schaukasten vor dem Eingang zum Lehrstuhl für Altorientalistik betrachtet werden.