Vergesst mir den Franz nicht!
08.12.2016Studierende der Universität Würzburg haben die Besucher des Mainfränkischen Museums erforscht und dabei sechs typische Gruppen identifiziert. Mit dem Wissen über die speziellen Wünsche und Bedürfnisse dieser Gruppen kann das Museum seine Angebote noch attraktiver machen.
Zum Beispiel Franz Kühn. Der 70-Jährige ist in Würzburg geboren und aufgewachsen; für die Geschichte seiner Heimat hat er sich schon immer interessiert. Jetzt ist er mit seinen Enkeln mit dem Bus auf die Festung Marienberg gefahren; im Mainfränkischen Museum will er den beiden etwas von dem historischen Hintergrund der Stadt vermitteln, in der ihr Vater und Großvater groß geworden sind.
Leider macht ihm nach einer halben Stunde sein Rücken zu schaffen. Gerne würde er sich mal für ein paar Minuten hinsetzen – am Besten in Nähe zu einer interaktiven Station, an der seine Enkel beschäftigt wären und wo er sie gut im Auge behalten kann. Leider gibt es keine solche Sitzgelegenheit im Museum. Also schleppt sich Franz Kühn durch den Rest der Ausstellung und verlässt sie nach gut einer Stunde – mit schmerzendem Kreuz und ein wenig enttäuscht.
Personas als typische Stellvertreter
Franz Kühn ist keine reale Person. Er steht vielmehr symbolhaft für eine Gruppe von Menschen, die rund zehn Prozent aller Besucher des Mainfränkischen Museums ausmacht. Stellvertretend für die realen Besucher vereint er deren typische Anforderungen, Bedürfnisse und Ziele in seiner Person. Persona wird dieser Stellvertreter deshalb in der Wissenschaft genannt.
Sechs solcher Personas haben Studierende der Museologie im Sommersemester 2016 im Rahmen eines Seminars unter der Leitung von Dr. Werner Schweibenz, Mitarbeiter im Bibliotheksservice-Zentrum Baden-Württemberg in Konstanz, erarbeitet. Diese können bei der Planung und Entwicklung des künftigen Museumsangebotes eingesetzt werden – vor allem mit Blick auf die anstehende Umwandlung des Museums zu einem „Landesmuseum“, das ganz Franken in seiner geschichtlichen und kulturellen Vielfalt repräsentieren soll. Die Ergebnisse ihrer Arbeit haben die Studierenden und ihr Dozent jetzt in der Kelterhalle des Museums der Öffentlichkeit präsentiert.
Keine Klischees oder Stereotype
„Personas sind typische Benutzerfiguren, die es Museen ermöglichen sollen, benutzerorientierte Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln“, erklärte Werner Schweibenz. Damit sie dies leisten können, müssten sie eine Reihe von Kriterien erfüllen: Personas müssen eindeutig sein und unterscheidbar; sie dürfen keinesfalls Klischees oder Stereotype erfüllen und – ganz wichtig – sie müssen eine Geschichte erzählen. „Nur dann kann man mit ihnen arbeiten“, so Schweibenz.
Es reicht also nicht, wenn die Mitarbeiter des Mainfränkischen Museums wissen, dass 21 Prozent der Besucher 40 bis 49 Jahre alt sind und nur zehn Prozent zwischen 70 und 79 Jahren. Dass zwei Drittel von ihnen mit dem eigenen Pkw anreisen und nur ein geringer Prozentsatz das Museum alleine besucht. Dass 86 Prozent mit Begleitpersonen unterwegs sind – zum Großteil mit Familie (44 Prozent) oder mit Freunden (13 Prozent). Und dass nur 28 Prozent „Interesse an der Geschichte Würzburgs“ als Grund für ihren Museumsbesuch anführen.
Eine Geschichte für den Stellvertreter
Diese Zahlen jedenfalls sind das Ergebnis einer qualitativen Besucherbefragung, die Museologie-Studierende 2015 durchgeführt hatten und die die Basis der Personas-Entwicklung bilden. Mit Leben gefüllt werden sie erst, wenn man für sie passende Szenarien und Rollenspiele entwickelt, wie das die Studierenden im Sommersemester getan haben.
Und so steht neben Franz Kühn beispielsweise Sophie Lange als zweite Persona. Die 45-jährige Grundschullehrerin lebt im südlichen Landkreis von Würzburg und hat viel Spaß daran, bei Kindern Interesse an Kultur und Geschichte zu wecken. Sie selbst ist geschieden und hat zwei Söhne im Alter von 15 und 13 Jahren. Wenn die mal das Wochenende bei ihrem Vater verbringen, unternimmt sie Ausflüge mit ihren Freundinnen, bei denen sie sich um das kulturelle Programm kümmert.
Auf das Mainfränkische Museum wurde sie durch den Tipp einer Bekannten aufmerksam. Ein wenig geärgert hat sie sich, als sie feststellen musste, dass die Museums-App auf ihrem Smartphone nicht läuft, weil es die bislang nur für Tablets gibt. Außerdem vermisst sie ein Museums-Café, in dem sie im Anschluss an den Besuch der Ausstellung mit ihren Freundinnen ihre Eindrücke austauschen kann.
Ein Arbeitsinstrument, das den Blick erweitert
„Personas sind ein Arbeitsinstrument, das den kuratorischen Blick erweitert“, sagte Guido Fackler, Leiter der Professur für Museologie an der Universität Würzburg. Sie sollen den Ausstellungsmachern und Kuratoren die Arbeit erleichtern, indem sie die Interessen der Besucher weniger abstrakt darstellen als reine Statistiken. Wenn das Museumsteam also mal wieder darüber diskutiert, in welcher Schriftgröße die Texte auf den Schildern unter den Ausstellungsstücken verfasst werden sollen, steht imaginär die Persona der 70- bis 79-Jährigen im Raum und fordert: „Vergesst mir den Franz nicht. Der kann trotz seiner Brille allzu kleine Schrift nicht mehr entziffern!“
Natürlich haben die Verantwortlichen im Mainfränkischen Museum auch bisher schon „den Besucher immer im Hinterkopf“ gehabt – so jedenfalls Dr. Claudia Lichte, Direktorin des Mainfränkischen Museums. Die Ergebnisse des Museologie-Seminars bieten ihr jetzt allerdings die Chance zur „Konkretisierung am Fall“. Dank der Personas sei es ihr und ihrem Team in Zukunft möglich, sich mehr unter den Besuchern vorzustellen und Angebote zu entwickeln, die auf sie speziell zugeschnitten sind. Und eine Frage werde ihr nach dieser Präsentation dabei mit Sicherheit immer durch den Kopf gehen: „Erreiche ich damit noch den Franz?“