Gärtnern gegen die Polykrise
18.02.2025Eine Forschungsgruppe aus der Würzburger Europäischen Ethnologie will untersuchen, wie Gärtnerinnen und Gärtner mit Wandel umgehen – und inwieweit sich daraus Rückschlüsse auf unsere Gesellschaft ziehen lassen.

Welchen Herausforderungen sieht sich die gärtnernde Bevölkerung gegenüber? Wie geht sie mit diesen um? Und was können wir als Gesellschaft von den Prozessen im und um den Lebensraum Garten lernen?
Mit solchen Fragen beschäftigt sich eine neue Gruppe an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU): Planting Future: Multispicies Gardening in the Anthropocene (kurz: „Multispecies Gardening“).
Geleitet wird sie von Professorin Michaela Fenske. Die Lehrstuhlinhaberin für Europäische Ethnologie / Empirische Kulturwissenschaft hat sich für das Vorhaben außerdem die praktische Expertise der Bayerischen Gartenakademie gesichert.
Die Volkswagenstiftung fördert das auf fünf Jahre angelegte Projekt als Teil der Initiative „Change!" mit über 1,2 Millionen Euro.
Die Stiftung wünscht sich von den Geförderten, dass diese zu „Agents of Change“ werden und Impulse für gesellschaftlichen Fortschritt und Verbesserungen geben.
Wissenschaft trifft Praxis
„Change!“ setzt die Kooperation von Forschenden mit außerwissenschaftlichen Einrichtungen in den Fokus. Beim Würzburger Projekt erfüllt den zweiten Part die Bayerische Gartenakademie. Sie ist Teil der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau und kümmert sich speziell um die Anliegen der Freizeitgärtnerinnen und -gärtner.
„Multispecies Gardening“ befasst sich mit einem Bereich, der einerseits selbst ständigen Veränderungen ausgesetzt ist, andererseits aber auch als Mikrokosmos stellvertretend für Wandel und Anpassungsfähigkeit in der Gesellschaft verstanden werden kann: privaten Gärten.
Gärtnern macht anpassungsfähig
Nach Angaben des Instituts für Wirtschaftsforschung gibt es in Deutschland rund 17 Millionen private Gärten. „Beim Gärtnern gestalten wir Menschen einen Lebensraum, den wir uns mit vielen anderen Organismen teilen“, erklärt Michaela Fenske, „gleichzeitig sind Gärten verschiedenen transformativen Prozessen ausgesetzt: Klimawandel, Artensterben oder invasiven Arten.“
Bei der Anpassung an solche Begebenheiten unterstützt die Bayerische Gartenakademie. Deren Leiterin Claudia Schönmüller weiß: „Gärtnernde Menschen sind grundsätzlich lösungsorientiert. Wir helfen ihnen dabei, sich mit Veränderungen zu arrangieren. Kommen bestimmte Pflanzenarten etwa mit den regionalen klimatischen Bedingungen nicht mehr klar, beraten wir zu resilienteren Varianten oder alternativen Arten.“
Enger Kontakt zu Gärtnerinnen und Gärtnern
Um herauszufinden, wie Menschen den Wandel in ihren Gärten wahrnehmen, wie sie mit ihm umgehen und was sie brauchen, um ihn zu meistern, will die Forschungsgruppe in engen Kontakt mit der Bevölkerung treten. „Gärten sind vor allem in der Mittelschicht weit verbreitet. Diese ist zwar nach Auskunft der Nachhaltigkeitsforschung weniger transformationsfreudig, birgt aber auch großes Veränderungspotenzial“, so Michaela Fenske. Bei Gärtnerinnen und Gärtnern sieht die Professorin grundsätzlich viel Verständnis für speziesübergreifendes Zusammenleben und den Einfluss des Menschen auf seine Umwelt.
Dieser Einfluss ist inzwischen so groß, dass die Wissenschaft den Begriff des Anthropozäns geprägt hat. Ein Erdzeitalter benannt nach dem Menschen (altgriechisch ánthropos) und wie er unseren Planeten gestaltet.
Vom Garten in die Welt
Nicht nur Gärten, auch unsere Gesellschaft als Ganzes hat mit diversen Herausforderungen zu kämpfen: Klimawandel, wirtschaftliche Turbulenzen oder soziale und politische Spannungen. Der französische Philosoph Edgar Morin kreierte dafür Anfang der 1990er den Begriff Polykrise: Ein Zusammenspiel aus mehreren Krisen, die nicht nur nebeneinander existieren, sondern überlappen und sich gegenseitig verstärken.
Die Forschungsgruppe interessiert deshalb, wie sich im Kleinen wahrgenommene Transformation und gelebte Anpassung auch auf weitere Bereiche des Lebens übertragen lassen.
„Die ökologischen Herausforderungen im Garten verlangen nach neuen Praktiken, Pflanzen und Früchten ebenso wie nach neuen Einstellungen, Ethiken und Ästhetiken,“ so Fenske und Schönmüller.
Vielseitige Bearbeitung des Themas
„Multispecies Gardening “ wird nicht nur wissenschaftliche Studien hervorbringen. Geplant sind verschiedene Formate von der Ausstellung über Bücher bis hin zu Filmen. Wichtig ist dabei vor allem, dass die Forschung zugänglich präsentiert wird. Offizieller Startschuss ist der 1. April 2025.
Zunächst soll sich die Forschungsgruppe auf Unterfranken konzentrieren, deutschlandweite Projekte werden folgen. Interessierte Gärtnerinnen und Gärtner können sich schon jetzt unter multispeciesgardening@uni-wuerzburg.de mit der Forschungsgruppe in Verbindung setzen.
Kontakt
Prof. Dr. Michaela Fenske, Lehrstuhlinhaberin, Europäische Ethnologie / Empirische Kulturwissenschaft, Tel: +49 931 31-85608, E-Mail: multispeciesgardening@uni-wuerzburg.de