Faszination am Nil
16.04.2018Seit gut drei Jahren kooperieren die Museologie und die Ägyptologie der Universität Würzburg mit der Helwan University in Kairo; der Austausch von Studierenden ist Teil der Kooperation. Judith Schief hat daran teilgenommen.
„Bevor wir nach Kairo kamen, haben wir ausführlich darüber diskutiert, ob wir uns dort wohl frei bewegen können würden. Zu dem Zeitpunkt hätte es keine von uns für möglich gehalten, dass wir schon nach wenigen Wochen mit dem Taxi durch die Stadt fahren und mit dem Taxifahrer über den Preis diskutieren.“ Wenn Judith Schief über ihren Aufenthalt in Ägypten erzählt, ist sie kaum zu bremsen. Und ihre Eindrücke sind auch jetzt – gut ein Jahr nach ihrer Rückkehr – noch so lebhaft, dass die Interviewzeit bei Weitem nicht ausreicht, sie annähernd vollständig wiederzugeben.
Deutsche Maßstäbe gelten in Kairo nicht
Geschätzt 20 Millionen Menschen leben in Kairo – „wir konnten uns nicht vorstellen, wie anders dort alles ist“, sagt Judith. Angefangen bei der Architektur über den Verkehr bis zur gesellschaftlichen Ordnung: Mit deutschen Vorstellungen eines geordneten Zusammenlebens komme man in Ägypten nicht weit. Rote Ampeln? Gibt es, interessieren aber niemanden. Fahrspuren? Dienen höchstens der groben Orientierung. Vorrang für Fußgänger? Unbekannt. „Ich hatte allerdings das Gefühl, dass die Autofahrer in Kairo zumindest ein klein wenig Rücksicht nehmen, wenn sie sehen, dass eine Europäerin die Straße überqueren will“, sagt die Studentin. Männliche Fußgänger hätten es deutlich schwerer, wenn sie sicher auf die andere Straßenseite wechseln wollten.
Judith Schief hat an der Universität Tübingen Geschichte und Soziologie auf Bachelor studiert und ist dann nach Würzburg gewechselt. Hier ist sie in die Masterstudiengänge Museumswissenschaft und Geschichte eingeschrieben. Im Rahmen eines Kooperationsprogramms der Julius-Maximilians-Universität Würzburg mit der Helwan University in Kairo ist sie im Oktober 2016 für ein Semester nach Ägypten gegangen – zusammen mit zwei weiteren Studentinnen. Im März 2017 ist sie nach Würzburg zurückgekommen.
Reisewarnung vom Auswärtigen Amt
„Bei Reisen nach Ägypten wird generell zu Vorsicht geraten. Es besteht landesweit ein erhöhtes Risiko terroristischer Anschläge und die Gefahr von Entführungen. Diese können sich auch gegen ausländische Ziele und Staatsbürger richten.“ Diese Reisewarnung findet sich aktuell auf der Homepage des Auswärtigen Amts. Kann man unter diesen Umständen tatsächlich einen Aufenthalt in dem Land am Nil empfehlen? „Unbedingt“, sagt Judith Schief. Natürlich hätten die Studentinnen anfangs auch Zweifel gehabt, ob sie sich unbesorgt durch das Land würden bewegen können. Das habe sich aber schnell gegeben. „Wir konnten uns völlig frei bewegen, auch in der Innenstadt, auch nachts“, erzählt die Studentin.
Dabei seien die Drei überrascht gewesen von der großen Hilfsbereitschaft der Bevölkerung. „Man muss nur kurz suchend in der U-Bahn herumschauen, schon kommt garantiert jemand und versucht zu helfen“, sagt Judith. Das sei zwar nicht immer auf Anhieb wirklich hilfreich, weil die wenigsten Ägypter Englisch verstehen und sprechen. Aber mit Hilfe von Händen und Füßen und einigen Arabisch-Brocken aus dem privat organisierten Sprachunterricht habe die Kommunikation in der Regel immer geklappt.
Faszination einer alten Hochkultur
Klar, dass eine Studentin der Museumswissenschaft und der Geschichte Ägypten unter anderen Gesichtspunkten betrachtet als der reguläre Tourist. Trotzdem: Als sie zum ersten Mal direkt vor den Pyramiden von Gizeh und vor der Sphinx stand, habe auch sie die Faszination einer mehrere tausend Jahre alten Hochkultur verspürt, erzählt Judith. Noch besser habe es ihr allerdings in der Nekropolenstadt Sakkara gefallen. In den Grabanlagen dort gebe es die älteste Stufenpyramide der Welt zu bewundern und im Inneren die original Wandbemalung; etliche Bereiche dieser Totenstadt sind mehr als 5.000 Jahre alt.
So reich Ägypten an Schätzen aus der Antike ist, so schwer tut sich das Land damit, diese Kostbarkeiten adäquat aufzubereiten und der Öffentlichkeit zu präsentieren. Da kann ein Besuch im Ägyptischen Museum am Tahrirplatz in Kairo für eine Museumswissenschaftlerin auch frustrierend verlaufen. „Das tut schon weh, wenn man sieht, wie viel man mit ein wenig mehr Geld aus der Ausstellung hätte machen können“, sagt die Studentin. Auf Französisch und von Hand geschriebene Zettel in Glasvitrinen, die vermutlich schon seit Jahrzehnten nicht mehr verändert wurden – damit kann man eine angehende Ausstellungsmacherin natürlich nicht begeistern.
Auch ihr vierwöchiges Praktikum, das Judith Schief im National Museum of Egyptian Civilization absolvierte, habe diesen Eindruck bestätigt. Auf der einen Seite habe sie eine sehr engagierte Betreuerin gehabt, die sie an Besprechungen teilnehmen und Veranstaltungen organisieren ließ. Andererseits habe sie tagelang Bücher in der museumseigenen Bibliothek katalogisiert – „Bücher, die auf Französisch verfasst waren – einer Sprache, die keiner sonst dort sprach“, erzählt die Studentin.
Eine wertvolle Erfahrung
Ein ägyptischer Kommilitone, der sich für die Gäste aus Würzburg extra drei Tage frei nimmt und ihnen zeigt, wie man sich in Kairo fortbewegt, wo man Lebensmittel einkauft, was beim Taxifahren zu beachten ist und ihnen SIM-Karten für die Smartphones besorgt; ein Dozent, der Inlandsreisen für die Studentinnen organisiert, sie an Weihnachten einlädt und dafür eigens einen Weihnachtsbaum aufstellt und schmückt; Bekannte, die am Smartphone dolmetschen, wenn eine der Studentinnen am Bahnhof ein Ticket nach Luxor kaufen möchte, den Fahrkartenverkäufer aber nicht versteht: Es sind Erlebnisse wie diese, die Judith Schiefs Bild von Ägypten prägen.
Und so fällt ihr Fazit des knapp sechsmonatigen Aufenthalts in Ägypten uneingeschränkt positiv aus: „Man lernt eine sehr andere Gesellschaft und eine äußerst faszinierende Kultur kennen“. Zu wissen, dass sie sich dort zurechtfinden konnten, sei für die Studentinnen eine wertvolle Erfahrung, auf die sie heute nicht mehr verzichten wollen.
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