Einzigartig und gut vernetzt
18.07.2023Carlotta Posth ist neue Juniorprofessorin für Mediävistische Komparatistik an der Universität Würzburg. In ihrer Forschung dreht sich viel um Sterben und den Tod.
Warum man sich heutzutage mit gut 500 Jahre alten Texten über das Sterben und den Tod beschäftigen sollte? „Weil die Themen von damals noch heute Relevanz besitzen“, sagt Carlotta Posth. „Und weil diese Texte zu unserem kulturellen Erbe gehören und einen großen Schatz darstellen.“
Posth ist seit Anfang Mai 2023 Juniorprofessorin für Mediävistische Komparatistik an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU). Die Frage, welche Diskurse es in mittelalterlichen Gesellschaften über das Sterben und die Vorbereitung darauf gab, bildet einen ihrer Forschungsschwerpunkte.
Sie ist davon überzeugt, dass heute lebende Menschen viel über ihren eigenen Umgang mit dem Sterben lernen können, wenn sie sich mit den Praktiken ihrer Vorfahren aus dem Mittelalter auseinandersetzen.
Der Tod betrifft jeden von uns
„Sterben ist eine anthropologische Grundkonstante, die jeden von uns betrifft“, sagt Posth. Doch statt sich dem Thema zu stellen, würden ihm die meisten Menschen heute ausweichen; in ihrem Alltag sei es jedenfalls nicht mehr präsent. Wer sich heute mit dem Tod beschäftigt, tue dies höchstens unter dem Aspekt: „Wie kann ich ihn so lange wie möglich hinauszögern?“ Die Frage: „Wie kann ich mich auf ihn vorbereiten?“, spiele hingegen kaum eine Rolle.
Das war in früheren Zeiten anders. „Im Mittelalter und in der Antike gab es dazu eigene literarische Gattungen, wie beispielsweise die ‚Ars moriendi‘‘, erklärt die Literaturwissenschaftlerin. Das lateinische Ars moriendi steht übersetzt für die „Kunst des Sterbens“; die Texte dienten zur Vorbereitung auf das Lebensende und sollten den Sterbenden zu einem guten Tod verhelfen.
Ein Volksprediger aus dem Elsass
Carlotta Posth interessiert sich in diesem Zusammenhang besonders für Johannes Geiler von Kaysersberg. Der „elsässische Volksprediger“, wie ihn die Deutsche Biographie nennt, lebte von 1445 bis 1510. Eine Predigerstelle in Würzburg hatte er abgelehnt; dafür nahm er eine neugeschaffene Stelle in Straßburg an, wo er von 1478 bis zu seinem Tod lebte und arbeitete. „Predigten waren in dieser Zeit ein Massenmedium. Johannes Geiler hat auf diese Weise extrem viele Menschen erreicht“, sagt Carlotta Posth.
Darüber hinaus hatte Johannes Geiler ein gemischtes Publikum. Zum einen hielt er seine Predigten für die Stadtbevölkerung, zum anderen wandte er sich an klerikale Zuhörerinnen und Zuhörer, beispielsweise in den zahlreichen Frauenklöstern, die es damals in Straßburg gab. Anders als heute war eine Predigt nichts, was man sich sonntags anhörte, um dann für den Rest der Woche seine Ruhe zu haben. „Johannes Geiler predigte oft über viele Tage hinweg und betrachtete dabei ein einzelnes Thema über einen langen Zeitraum und aus unterschiedlichen Blickwinkeln“, sagt Posth. Das Sterben spielte dabei eine wichtige Rolle.
Sterbeprogrammatik als Ideal für ein gutes Leben
Wie die Literaturwissenschaftlerin herausgefunden hat, variierte Johannes Geiler seine Predigten je nach Publikum, vor dem er sprach. Mit unterschiedlichen Bildern, Metaphern und Inhalten passte er sich der Zuhörerschaft an. „In seinen Predigten in Klöstern verwendet er die Sterbeprogrammatik als Ideal für ein gutes Leben im Kloster“, sagt Posth. Die verschiedenen Stadien des Sterbens deutet er als eine Hinkehr zu Gott und zieht Parallelen zum Leben im Kloster mit dem Ergebnis, dass Sterben als ideale Form des Lebens erscheint, die auch auf einen guten natürlichen Tod vorbereitet.
Anders bei seinen Predigten vor den Bürgern der Stadt. Hier lässt Johannes Geiler zum Beispiel inmitten der Fastnachtszeit den Tod als bäuerliche Allegorie auftreten, die die Sterblichkeit aller Straßburgerinnen und Straßburger anmahnt, aber auch ein Gleichheitsversprechen mit sich bringt: Auch in einer ständisch organisierten Gesellschaft mit großen sozialen Ungleichheiten behandelt der Tod alle gleich.
Eine einzigartige Professur
Eine Juniorprofessorin für Mediävistische Komparatistik: Damit ist Carlotta Posth ziemlich einzigartig – an der JMU, aber auch im gesamten deutschsprachigen Raum. „Üblicherweise ist die Mediävistik in den Nationalphilologien verankert“, sagt sie. Soll heißen: An deutschen Universitäten gibt es in der Regel in der Germanistik eine Mediävistin, die sich auf die deutschsprachige Literatur des Mittelalters spezialisiert hat; vergleichbare Stellen finden sich – wenn sie denn eingerichtet wurden – in der Romanistik, Anglistik und den anderen philologischen Fächern.
Die Komparatistik ist als Fach ebenfalls institutionell etabliert und steht gleichberechtigt neben den Philologien. Eine Komparatistik, die sich auf das Mittelalter spezialisiert, ist hingegen eine Seltenheit. „Hier wagt die Universität Würzburg etwas deutschlandweit Einzigartiges“, sagt Posth. Ist sie deshalb eine Einzelkämpferin? Klare Antwort: „Nein!“ Wer zum Mittelalter forscht, muss ihren Worten nach immer auch komparatistisch arbeiten. So, wie die Literaturen dieser Zeit untereinander stark vernetzt waren, müsse auch sie sich heute mit benachbarten Disziplinen vernetzen und mit diesen kooperieren.
Dass es diese Stelle überhaupt gibt, und, natürlich, dass sie auf diese Stelle berufen wurde, empfindet die 34-Jährige als „ein riesengroßes Glück“. Nicht nur aus wissenschaftlicher Sicht: Die Juniorprofessur in Verbindung mit einem Tenure Track sei auch eine tolle Chance mit Blick auf die Planbarkeit von Karriere und Leben. Unter diesem Aspekt lohne sich für sie „der nächste Schritt als Familie“: der Umzug in eine neue Stadt. Da passt es, dass sie bereits die Zusage für einen Betreuungsplatz für ihren Sohn im Kindergarten der Uni am Hubland in der Tasche hat.
Promotion statt Referendariat
Am Anfang ihres Studiums im Jahr 2008 hatte Carlotta Posth noch das Lehramt als Ziel vor Augen – mit den Fächern Germanistik, Philosophie und Biologie. Studiert hat sie diese an der Universität Tübingen und der Université Paris I: Panthéon-Sorbonne. Als sich nach dem ersten Staatsexamen die Chance auf eine Promotion bot, fiel ihr die Entscheidung für eine akademische Laufbahn allerdings nicht schwer.
„Ich hatte in Tübingen eine komparatistische Lehrveranstaltung in der Mediävistik besucht mit einem Vergleich deutscher und französischer Werke, danach wollte ich unbedingt Altfranzösisch lernen“, sagt sie. Über diese „alte Sprachstufe“ sei sie dann intensiv ins Französisch gekommen, in ihrer Promotion konnte sie dieses Interesse vertiefen.
Jetzt will sie mit ihrem Lehrangebot Studierende der Germanistik und der Romanistik an der JMU ebenfalls zur Komparatistik bringen und ihnen den Blick über den „nationalphilologischen Tellerrand“ ermöglichen. Und weil es dazu unbedingt die entsprechende Sprachkompetenz braucht, unterrichtet sie auch Altfranzösisch – beziehungsweise animiert zum Selbststudium. Mit einer Kollegin der Uni Tübingen entwickelt sie derzeit ein digitales Altfranzösisch-Lernmodul für Studierende, Lehrende und Forschende der Mediävistik.
Kontakt
Prof. Dr. Carlotta Posth, Juniorprofessur für Mediävistische Komparatistik, T: +49 931 31-80159, carlotta.posth@uni-wuerzburg.de