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Philosophische Fakultät

Form und Geschichte – und die Kunst, deren Verhältnis zu bestimmen

05.03.2024

27 Jahre lang verkörperte Stefan Kummer die Würzburger Kunstgeschichte. Nach seiner Emeritierung hat er ein Lebensprojekt verfolgt; nun wird sein dreibändiges Werk über die Entstehung der Würzburger Residenz vorgestellt.

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Unbestritten ist die ehemalige fürstbischöfliche Residenz die größte Sehenswürdigkeit Würzburgs. Wodurch aber hebt sie sich gegenüber anderen Schlössern des deutschen Barock hervor? „Die Entstehungsgeschichte der Würzburger Residenz“ gibt Antworten. Der rechte Seitenflügel beherbergt den Toscanasaal, wo das Buch vorgestellt wird. (Bild: André Mischke / Universität Würzburg)

Die Julius-Maximilians-Universität (JMU) Würzburg hat das Privileg, mit mehreren Instituten und dem Martin von Wagner Museum im Südflügel des ehemaligen Wohn- und Regierungssitzes der Würzburger Fürstbischöfe zu residieren. Es liegt also nahe, dass Mitglieder des Würzburger Instituts für Kunstgeschichte immer schon zu diesem bedeutendsten Barockschloss in Deutschland geforscht haben.

Trotzdem datierte die letzte Monografie zu Architektur und Ausstattung der Residenz bis zuletzt aus dem Jahr 1923, vorgelegt von dem Kunsthistoriker Rudolf Seldmaier und dem Architekten Rudolf Pfister. Jetzt, über einhundert Jahre später, wird dieses herausragende, aber in vieler Hinsicht auch überholte Standardwerk abgelöst.

Professor Stefan Kummer, der zwischen 1987 und 2013 den Lehrstuhl für Mittlere und Neuere Kunstgeschichte an der JMU innehatte, hat soeben „Die Entstehung der Würzburger Residenz. Die Architektur 1719–1744“ veröffentlicht. Er zieht damit die Summe aus dreißig Jahren Grundlagenforschung zu diesem „Schloss über allen Schlössern“, das noch während seiner Erbauung als das schönste in Deutschland beschrieben wurde.

Nachgedacht hatte der Autor über den Bau freilich schon viel länger. Kummer ist Würzburger, die Ruinen der Residenz waren ihm von Kindesbeinen an vertraut. Als er nach Stationen in Lübeck und Tübingen als Professor – und Experte für die Baukunst der Barockepoche – in seine Heimatstadt berufen wurde, wandte er sich nach kurzer Zeit zielsicher der Residenz zu. Zwischen 1999 bis 2004 konkretisierten sich seine Studien in einem DFG-Projekt, bei dem er und seine Mitarbeiterinnen Dr. Verena Friedrich und Dr. Michaela Neubert Unmengen an Archivmaterial einsammelten und den Bau in jeder Einzelheit untersuchten.

Doch es dauerte weitere zwanzig Jahre, bis diese Forschungen zur endgültigen Reife gelangt waren. Das jetzt erschienene Werk umfasst zwei Tafelbände mit rund 1.050 Seiten und einen Abbildungsband. Es ist aber nicht nur ein gewichtiges Buch, sondern auch eine Pionierleistung. Erstmals wird die verwickelte und über weite Strecken bisher unerforschte Genese der – zum UNESCO-Weltkulturerbe zählenden – Würzburger Residenz akribisch analysiert und dargestellt.

Kummers Forschungen stützen sich auf eine Fülle neu erschlossener Schrift- und Bildquellen. Allein achtzig architektonische Entwürfe werden sorgfältig ausgewertet, darunter ein früher unbeachtetes Plankonvolut in der Berliner Kunstbibliothek. Dank der intensiven Auseinandersetzung mit der allmählichen Gestaltwerdung der Residenz kristallisiert sich jetzt viel deutlicher heraus, welche Persönlichkeiten für die Architektur als Ganzes und welche für ihre Teile verantwortlich waren.

Wie die Rollen von Bauherren und Baumeistern in dem langwierigen Planungs- und Bauprozess genau verteilt waren; welche historischen Hintergründe zur außerordentlichen Größe der Residenz geführt haben; welche unterschiedlichen Funktionen dieses Gebäude eigentlich erfüllte – diese und viele andere Fragen werden in dem neuerschienenen Werk beantwortet. Aus der umfassenden Klärung der Entstehungsgeschichte zeichnet sich aber auch der einzigartige Rang der Würzburger Residenz innerhalb der barocken Schlossbaukunst klar ab.

„Das vorliegende Buch ist vom Ansatz her ein historisches Buch“, betont Kummer glich auf der ersten Seite. Es behandle baukünstlerische Fragen, doch das mögliche Missverständnis, dass Formgeschichte auf „l’art pour l’art“ hinauslaufe, wird sogleich entkräftet, schließlich seien die Formen der Geschichte unterworfen. Doch auch dabei allein bleibe es nicht: „Allerdings ist bei Kunstwerken stets zu bedenken, dass ihre Form die historischen Voraussetzungen, denen sie ihre Entstehung verdankt, transzendiert.“

Insofern sei die Würzburger Residenz „nicht nur ein Geschichtsdenkmal, sondern ein Monument ihrer selbst, indem ihre Form als einmalig erscheint.“ Sie wird verständlicher, wenn ihre Entstehungsbedingungen und ihre Formentwicklung geklärt sind. Beides ist nun in voraussetzungsvoller Fülle erschlossen.

Präsentation am 16. März im Toscanasaal der Residenz

Die Würzburger Residenz ist, mit über 310.000 Besuchern allein im Jahr 2023 (das Martin von Wagner Museum noch nicht einmal eingerechnet), die wichtigste Sehenswürdigkeit der Stadt. Das Erscheinen des Buches ist daher ein Ereignis, das öffentlich begangen wird. Am Samstag, 16. März 2024, um 17 Uhr wird es öffentlich präsentiert – natürlich in der Residenz, nämlich im Toscanasaal.

Veranstalter der Buchvorstellung sind die „Freunde der Würzburger Residenz“. Nach der Begrüßung durch Dr. Verena Friedrich und Professor Damian Dombrowski, beide Mitglieder des Instituts für Kunstgeschichte und Vorsitzende der „Freunde“, wird Oberbürgermeister Christian Schuchardt ein Grußwort sprechen – eine doppelte Anerkennung, die sowohl der Geltung der Residenz für Würzburg als Kunststadt als auch der Lebensleistung Stefan Kummers gilt.

Anschließend wird die Würzburger Mediävistin Professorin Dorothea Klein Aufbau und Inhalt von „Die Entstehung der Würzburger Residenz“ skizzieren. Sie kennt das Buch fast in- und auswendig, hat sie doch die eigentliche Produktion des Buches am engsten begleitet.

Den Festvortrag hält Professor Georg Satzinger von der Universität Bonn. Auf der Grundlage neuer Quellenfunde spricht er, passend zur Neuerscheinung, über „Balthasar Neumanns Anfänge“. Einen persönlichen Rückblick wird Dr. Christiane Kummer, die Ehefrau des Autors, auf „Stefan Kummer und die Residenz“ werfen.

Danach besteht Gelegenheit zu Begegnung und Austausch: Für den geselligen Teil der Veranstaltung geht es zu einem Weinempfang hinüber in die Gemäldegalerie. Kummer ist auch dort zuhause – als Vorstand des Instituts für Kunstgeschichte hat er auch die Neuere Abteilung des Martin von Wagner Museum geleitet.

Als wandelndes Gedächtnis seiner Heimatstadt und beredter Vermittler ihrer Kunst – von ihm stammt unter anderem die 2011 erschienene Kunstgeschichte der Stadt Würzburg 800–1945 – dürfte Stefan Kummer auch mit „Die Entstehung der Würzburger Residenz“ sein Publikum finden. Das Buch krönt nicht nur seine Forschungen, sondern entfaltet auch seine bedachte Methode, die Generationen von Studierenden geprägt hat: Kunstwerke nicht nur als Spiegel, sondern auch als Beitrag zur Welt zu begreifen.

Buchpräsentation am Samstag, 16. März 2024, um 17 Uhr im Toscanasaal der Residenz. Anschließend Weinempfang in der Gemäldegalerie des Martin von Wagner Museums. Die Veranstaltung ist öffentlich; Reservierungen werden nicht entgegengenommen. Es gilt das „first come, first served“-Prinzip.

Weitere Bilder

Von Prof. Dr. Damian Dombrowski

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