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Lehrstuhl für Ägyptologie

500 Jahre Schrift und Schriftlichkeitskultur im Fayum (2. Jahrhundert v. bis 3. Jahrhundert n. Chr.)

12.06.2024

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft bewilligt rund 1 Mio. Euro für eine interdisziplinäre Forschungsgruppe in Würzburg, um die Schriftkultur im antiken Fayum durch eine umfassende Analyse von Soknopaiu Nesos zu untersuchen. Aus der Ortschaft Soknopaiu Nesos ist eines der größten und umfangreichsten Korpora für die Untersuchung der lokalen Schreibpraktiken überliefert.

Ruinen des Soknopaiostempels von Dimê im Fayum (Photo: M. Stadler) (Bild: Photo: M. Stadler)

Die Quellen stammen aus der Zeit zwischen dem 2. Jh. v. Chr. und dem frühen 3. Jh. n. Chr. Fast die gesamte demotische und ein Teil der griechischen Dokumentation wurde im kulturellen und wirtschaftlichen Zentrum des Ortes, dem Soknopaios-Tempel, erstellt, während das Grapheion die wichtigste Einrichtung für Griechisch war. Es gibt Belege für die Zusammenarbeit zwischen Ägyptern und Griechen und sogar ägyptische Priester, die gleichzeitig notarielle Ämter innehatten. Trotz der Masse an Belegen (oder vielleicht gerade deshalb) wurde dieses Korpus bisher kaum systematisch bearbeitet.

Forschende können auf ein großes Korpus von bereits identifizierten relevanten Quellen aufbauen. Die Projektmitglieder müssen jedoch weitere Texte erstedieren, um ein umfassenderes Bild zu erhalten. Zu den für das Thema relevanten Textgattungen gehören demotische religiöse Quellen, demotische Quittungen und Abrechnungen von oder für das Tempelpersonal, griechische Dokumente, die die Kommunikation zwischen dem Tempelpersonal oder dem Vorsteher des Tempels und den römischen Behörden belegen, bzw. solche, die für den Betrieb des Grapheions relevant sind, sowie Texte, die zu Familien- oder Berufsarchiven gehören. Das Arbeitsprogramm ist in vier Forschungsbereiche in drei Teilprojekten gegliedert und deckt überlappende historische Phasen ab.

1. Ein ptolemäisches Tempelarchiv (P. Oxf. Griffith) aus Soknopaiu Nesos

Hier geht es um die Beziehung zwischen den demotischen und griechischen Urkundentexten aus dem Tempelarchiv, das sich heute in den Sammlungen Griffith und Amherst befindet, um ein umfassenderes Bild des Archivs als Ganzes zu erhalten. Von den etwa 300 demotischen Papyri warten mehr als die Hälfte noch auf ihre Veröffentlichung. Die Schlüsselfrage ist die Kohärenz des demotischen und griechischen Materials als ein "Archiv" eines Schreibers. Das Ziel ist, herauszufinden, wer die Texte für wen, in welcher Sprache und zu welchem Zweck geschrieben hat, und welche Gemeinsamkeiten sie aufweisen. So kann man beginnen, den Tempel als autonome Organisation im größeren Kontext der ägyptischen Religion und der ptolemäischen Staatsverwaltung zu begreifen. Die meisten Texte wurden von demselben Schreiber verfasst, einem gewissen Tesenuphis, Sohn des Marres, "Schreiber der Priester" im 2. Jh. v. Chr. Die Fülle von Texten, die von diesem Schreiber verfasst wurden, wird es uns ermöglichen, dieses wichtige Schreiberamt zu untersuchen, um zu untersuchen, welche Aufgaben er hatte, welche Art von Texten er schrieb und auf welche andere Weise er in die Angelegenheiten des Tempels eingebunden war.

2. Griechische Schreibpraxis in Soknopaiu Nesos

Das Notariat (Grapheion) und die Archive des Ortes stehen im Zentrum des zweiten Teilprojekts. Das Grapheion kann als die Institution angesehen werden, die dazu beitrug, einen "middle ground" zwischen griechischen und ägyptischen kulturellen Traditionen zu schaffen. Ziel des Projekts ist es, die Beziehung zwischen dem Grapheion und dem Tempel sowie seine Rolle in den größeren Rechts- und Verwaltungsinstitutionen des ptolemäischen und römischen Staates zu erhellen. 180 Notariatsurkunden bilden den Kernbestand dieser Studie, zusätzlich zu internen Grapheion-Dokumenten, Notariatsurkunden aus verwandten Grapheia und anderen Dokumenten, von denen bekannt ist oder vermutet wird, dass sie von Notaren verfasst wurden. Es werden Fallstudien zu bekannten und neu entdeckten Archiven von Priestern und Priesterfamilien durchgeführt. Durch eine kombinierte Untersuchung solcher Archive und der Institution des Grapheions wird ein besseres Verständnis der sozialen Stellung des Griechischen in Soknopaiu Nesos von der ptolemäischen bis zur römischen Zeit ermöglicht.

3. Wirtschaft und kultische Praxis im Tempel des Soknopaios in römischer Zeit

Der natürliche nächste Schritt in der Bearbeitung der Abrechnungsrollen, die unter maßgeblicher Würzburger Beteiligung im Projekt DimeData begonnen wurde, wird in der Gruppe ebenfalls getan: eine umfassende Typologie für demotische und griechische Abrechnungsrollen aus Soknopaiou Nesos. Ziel ist es, möglichst viele Beispiele verschiedener Abrechnungsarten einzubeziehen, um die interne Tempelverwaltung besser zu verstehen. Ein Schwerpunkt wird auf dem Übergang zwischen demotischer und griechischer Buchführung liegen, um festzustellen, ob es signifikante Hinweise auf eine interne griechische Buchführung aus dem Tempel von Soknopaios gibt und wann und wie dieser mögliche Übergang stattfand. Darüber hinaus werden eine Reihe demotischer religiöser Texte ediert. Anhand dieser Werke wird deutlich, wie sehr Soknopaiou Nesos über den reinen Rahmen der Demotistik hinausgeht und aus allgemeiner ägyptologischer Sicht interessant ist, da sich hier die letzten handschriftlichen Quellen für bestimmte Riten finden. Das Ziel ist, eine Grundlage dafür zu schaffen diese Texte auch im Hinblick auf die praktische Seite des Tempelkultes zu verstehen, wie sie sich aus den Abrechnungen ergibt.

Prof. Dr. Martin Stadler

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